Afrika Saga 02 - Feuerwind
»Meine Kleine, würden wir dich nicht so sehr lieben, würden wir dich, ohne einen weiteren Gedanken an etwaige Gefahren zu verschwenden, ziehen lassen. Das weißt du doch sicher?«
Sie waren gleich groß, Marias Wange lag an ihrer. Nach kurzem Zögern legte sie ihrer Mutter die Arme fest um den Hals und barg das Gesicht in der Wärme ihrer Halsgrube.
»Daran darfst du nie, nie zweifeln, hörst du?« Catherine streichelte ihrer Jüngsten über die zuckenden Schultern, spürte, dass ihre eigene Haut nass war von deren Tränen.
Lieber Gott, betete sie schweigend, halt deine Hand über unser Kind, beschütze es vor allen Übeln.
Und wie Catherine es bestimmt hatte, so geschah es. Über den Anwalt Carl Puttfarcken, der die Erbschaftsangelegenheit von Adele, der verstorbenen Schwester ihres Vaters, abgewickelt hatte, erfuhr sie die Adresse der Verwandtschaft ihrer Mutter, und nach einem längeren, von beiden Seiten sehr sorgfältig formulierten, aber durchaus erfreulichen Briefwechsel mit Ludovig Mellinghoff, ihrem Cousin zweiten Grades - sein Großvater war der Bruder ihrer Großmutter gewesen hatten sie vereinbart, dass Maria als zahlender Gast in seinem Hause wohnen konnte. Von den Plänen ihrer Tochter, in Hamburg studieren zu wollen, erwähnte sie wohlweißlich nichts. Ihr Gefühl sagte ihr, dass Ludovig von diesem Vorhaben nicht sonderlich erbaut sein und womöglich die ganze Sache abblasen würde. War Maria erst in Hamburg, konnte er seine Nichte nicht postwendend zurück nach Afrika schicken, ohne Aufsehen zu erregen. Und das, so schätzte sie ihren Cousin ein, würde ihm außerordentlich peinlich sein. Catherine verwahrte alle Briefe in einer Schatulle, schließlich stellten sie so etwas wie Verträge dar.
Sechs Wochen später hatte Maria Durban mit dem Dampfschiff verlassen, das sie auf direktem Weg über Rotterdam nach Hamburg bringen sollte. Die Steinachs hatten dieses Schiff gewählt, da sich auch Cilla und Per Jorgensen an Bord befanden, die Marias Paten waren. Zum ersten Mal, seit sie sich vor Jahrzehnten in Natal niedergelassen hatten, gönnten sich die Jorgensens eine Reise in ihr Heimatland Schweden. Für Catherine und Johann war es eine große Beruhigung, Maria unter ihrer Aufsicht zu wissen.
Maria begehrte auf, wies darauf hin, dass sie mit ihren zweiundzwanzig Jahren schließlich erwachsen sei und völlig imstande, auf sich selbst zu achten. »Du warst erst siebzehn, als du allein nach Afrika gekommen bist, achtzehn, als du Papa geheiratet hast. Im Vergleich zu mir warst du also praktisch noch ein Säugling«, hatte sie ihrer Mutter vorgehalten.
»Das war etwas anderes«, antwortete Catherine.
Im Brandungsboot wurde Maria mit den übrigen Passagieren zur Sea Princess gebracht, die außerhalb des Hafens vor Anker lag, und in einem Korb an Bord gehievt. Als das Schiff die Anker lichtete und ins offene Meer dampfte, standen Catherine und Johann mit den Dillons am Point und winkten, dass ihnen die Schultern wehtaten, winkten noch, als die Sea Princess längst nur noch eine winzige Rauchwolke am südlichen Horizont war.
In den darauf folgenden Wochen begleiteten sie ihre Tochter in Gedanken auf jedem Schritt ihrer Reise. Dann standen sie abends am Fenster ihres Schlafzimmers auf Inqaba und schickten ihre Gedanken über zwei Kontinente durch die samtene Dunkelheit zu Maria.
Catherine zählte die Tage, und als nach fast fünf Wochen der Tag der voraussichtlichen Ankunft vergangen war, strich sie jeden Abend einen Tag aus dem Kalender, den sie sich extra für diesen Zweck gekauft hatte. Das Telegramm hatte sie pünktlich erreicht. Wie aufgeregt war sie gewesen, wie erleichtert, als der Postläufer endlich auf den Hof von Inqaba lief.
Die Kutsche schlingerte bedrohlich, mit aller Kraft musste sie sich am Sitz festklammern, versuchte vergeblich, gegen die Übelkeit anzukämpfen, die ihr in die Kehle stieg und ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Erbost schob sie sich ein Stück Ingwer in den Mund und kaute es langsam durch. Auch die schlimmsten Stürme auf dem Meer hatten ihr nichts anhaben können, aber das brutale Geschaukel der Kutsche hielt selbst ihr Magen nicht aus. Im Nachhinein war sie froh, dass Maria dem Sommer entgegen gedampft war, so waren die Frühlingsstürme in der Biskaya sicherlich vorüber gewesen, ebenso die im Kanal. Marias erster Brief bestätigte das. Die Überfahrt war ohne größere Vorkommnisse verlaufen, ihre Ankunft hätte nicht harmonischer sein
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