Afrika Saga 02 - Feuerwind
verschwinden die Viecher?« Ihm war nicht klar, ob sie sich lustig machte oder vielleicht doch verrückt war. Zumindest ein klein wenig.
»Genau so. Ich habe es selbst gesehen. Er steht vor ihnen und unterhält sich, und ich schwöre dir, die Löwen werden ganz friedlich.
Mein Bruder wird dich sicher gern einmal zur Jagd mitnehmen. Dann wirst du es erleben. Es ist eine ziemlich aufregende Angelegenheit.«
Leon musterte sie scharf, konnte aber keinen Spott aus ihrer Miene lesen. Leidenschaftlich hoffte er, dass er nie auf Konversationsnähe an einen Löwen herankommen würde, fragte sich, in was für eine Familie er da geraten war. Seine Frau, die so vertraut mit dem Gewehr umging wie seine Mutter mit der Puderquaste, ihre Mutter, die Paviane betrunken machte und Hosen trug und trotzdem ohne Zweifel eine große Dame war, der Bruder, der mit Löwen redete … In seiner Vorstellung schössen Leute, die in Afrika lebten, Löwen beim ersten Anblick auf der Stelle tot, unterhielten sich nicht mit ihnen. Es brachte sein ganzes Bild ins Wanken. Auch konnte er sich nicht recht vorstellen, Tiere totzuschießen, obwohl er sich inzwischen selbst davon überzeugt hatte, dass ein Mann im Busch unmöglich nur von Gemüse leben konnte. Schließlich, so beruhigte er sein Gewissen, herrschten hier archaische Gesetze. Fressen oder gefressen werden.
So war's doch. Er war sehr gespannt, Marias Vater kennen zu lernen.
»Redet dein Vater auch mit Löwen?«
»Iwo, der redet nur mit seinem Zuckerrohr und den Rindern.«
Ihm fiel keine intelligente Antwort ein.
Maria kicherte noch immer. Das Gewehr über die Schulter gelegt, ging sie vom Fluss zurück zum Rastplatz. Ihr Haar, das beim Baden nass geworden war, hing über ihren Rücken und trocknete zu einem schwingenden, glänzenden Vorhang. Ihre Bluse war hinten aus den weiten Hosen gerutscht. Buscherfahren wie sie war, hielt sie ihre Augen stets vor sich auf den Boden gerichtet.
Trotzdem knickte sie unvermittelt um und fiel hin, ehe Leon zugreifen konnte. Das Gewehr flog ihr aus der Hand und landete unweit vor seinen Füßen. Sie war in ein vom Gras verdecktes Loch geraten, das wohl ein Warzenschwein auf der Suche nach nahrhaften Wurzeln gegraben hatte.
»Hoppla«, rief sie, wollte wieder aufstehen, fiel aber zurück, weil sich ihre Bluse in einem trockenen Dornenzweig verhakt hatte.
Leon hörte das Schnauben, sie nicht. Es kam von schräg hinter ihm und klang, als hätte ein Pferd geprustet. Er drehte sich um, sein Blick flog über die weite Grasfläche hinüber zu dem dichten Busch, der um eine Schirmakazie wuchs und in dessen Mitte ein grauer Felsen aufragte. Er konnte nichts entdecken und wandte sich wieder ab. Ein Windstoß raschelte durch den Baum über ihnen, nahm ihren Geruch auf, tanzte über das Gras zur Schirmakazie, und er hörte das Schnauben erneut. Jetzt schaute er genauer hin und sah, dass das, was er für einen Felsen gehalten hatte, sich bewegte. Ein mächtiger Kopf erschien, die lange Nase bewehrt mit einem Doppelhorn, sog den Wind in die geblähten Nüstern, die langen Ohren waren steil in Richtung der Menschen aufgerichtet. Leon stieß einen Überraschungslaut aus. Alarmiert sprang das Nashorn aus seiner Deckung, senkte den Kopf, scharrte mit den Vorderhufen, schnaubte noch einmal und preschte los.
Leon erstarrte völlig, fand es unmöglich, sich zu bewegen, geschweige denn einen intelligenten Gedanken zu fassen.
»Das Gewehr, nimm das Gewehr«, flüsterte Maria zu seinen Füßen.
»Schnell!«
Das gepanzerte Ungetüm brach durch den Busch, erreichte die freie Grasfläche und näherte sich mit dem Tempo einer heranrasenden Lokomotive.
Stehen bleiben, bis auf zwanzig Schritt herankommen lassen, dann zur Seite springen. Die Worte schössen in seinem Kopf herum wie Geschosse. Geht nicht, dachte er, Maria ist hinter mir. Sein Herz hämmerte.
Ein archaischer Impuls, zweifellos ererbt von Vorfahren, die einst in der Steppe jagten, der unter dicken Schichten von Zivilisation tief in seinem Inneren sein Leben lang geschlummert hatte, explodierte an die Oberfläche seines Bewusstseins. Mit einer einzigen Bewegung riss er das Gewehr hoch, rannte laut schreiend, die Waffe hin und her schwingend, seitwärts, weg von Maria. Das Nashorn, das ein sehr feines Gehör besaß, ortete ihn fünfzig, sechzig Schritt von seinem ersten Standort entfernt, schlug eine weite Kurve und raste weiter, geradewegs auf Leon zu.
Ohne den Gedanken bewusst gefasst zu haben, hob dieser das
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