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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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folgen wollte, spürte er plötzlich eine Hitzewelle, blickte zurück und sah die Matratze vollends in Flammen aufgehen, umhüllt von schwarzem Rauch.
    Auf dem Dach betrachtete er die dicke Rauchsäule, die in den nächtlichen Himmel stieg. Vielleicht kam rechtzeitig eine Streife. Nara hockte auf der Ecke des Daches, die am weitesten vom Feuer entfernt war. Leo setzte sich neben sie. Jetzt besaß er auf der ganzen Welt nur noch die Kleidung an seinem Leib, den Stoß halb fertiger, unbeholfener Briefe an seine Töchter und das Opium in seiner Tasche. Im Schneidersitz sah er zu, wie die Flammen an einer Stelle durch das Dach brachen. Ihnen blieb nicht viel Zeit. Zum ersten Mal an diesem Abend handelte er, wie es jeder normale Mann getan hätte, und legte einen Arm um seine verletzte Schülerin.

Provinz Kabul
Bezirk Sarobi
Sarobi-Staudamm
50 Kilometer östlich von Kabul
Am selben Tag
    Fahad Mohammad saß knapp unterhalb einer Hügelkuppe mit Blick auf den Fluss und aß eine Handvoll gezuckerter Mandeln. Der Mond stand hell über der Schlucht, aber auch ohne sein Licht würde Fahad den steilen Abhang hinunterfinden. Zwischen den Bergen klemmte wie ein riesiges Betonmaul der Sarobi-Staudamm. Strategisch gesehen war er für die Besatzung ungemein wichtig, weil er einen wesentlichen Anteil des Stroms für die Hauptstadt lieferte. Die Zugangsstraße war mit Kontrollpunkten und Stacheldrahtbarrieren geschützt. Auf dem Staudamm selbst waren zwei Panzer stationiert, von denen einer nach Norden und einer nach Süden zeigte. Die Geschütze ragten in einem hohen Winkel nach oben, als hätten sie Angst, die Berge würden sich erheben und das kostbare Bauwerk zerschmettern. So beeindruckend diese Verteidigungsmaßnahmen auf die sowjetischen Planer auch wirken mochten, interessierten sie Fahad kaum. Die Mudschaheddin würden nie über die Straße angreifen. Er sagte seinen Männern gern:
    Die Sowjets geben sich große Mühe, die Straßen zu kontrollieren. Das hier ist kein Land der Straßen. Sollen sie die Straßen behalten. Wir behalten den Rest von Afghanistan.
    Insgesamt waren etwa fünfzig Soldaten zum Schutz der Anlage abgestellt worden, eine Mischung aus afghanischen Rekruten und befehlshabenden Sowjets. Die Vorstellung, hier hätten sich Ebenbürtige verbündet, war eine Beleidigung – die Afghanen waren Befehlsempfänger, unterwürfige Sklaven in ihrem eigenen Land und in Fahads Augen ein Gräuel. Die relativ geringe Anzahl an Wachen trotz der beachtlichen Truppenstärke bewies nur ihren Glauben, dass die Minen in der Schlucht jeden Angriff verhindern würden.
    Während Fahad die letzte Mandel aß, entdeckte er eine der Minen, einen rundlichen Gegenstand, der keine zehn Meter entfernt auf dem Boden lag. Man hätte sie für einen Stein halten können, denn diese Minen wurden nicht von Spezialisten eingegraben, sondern aus feindlichen Flugzeugen abgeworfen. Eigens konstruierte Flügel sorgten in einer grotesken Imitation von pflanzlichen Samenhülsen dafür, dass die Minen sich in der Luft drehten und abgebremst wurden, um sanft auf dem Boden zu landen. Für Waffen sahen sie extrem harmlos aus. Kinder verwechselten sie oft mit Spielzeug, weil die Farbe des Plastikgehäuses sich nach den Gebieten richtete, in denen sie abgeworfen wurden, seien es die Rot- und Gelbtöne in den Bergen oder das Grün stärker bewachsener Gegenden. Wenn man genau hinsah, konnte man sie mit dem bloßen Auge erkennen, aber für Metalldetektoren waren sie kaum zu entdecken, weil sie nur einen dünnen Zünder aus Aluminium besaßen. Fahad schätzte, dass in diesen Bergen mehrere tausend Minen verstreut waren, die alle nicht töten sollten. Sie enthielten nicht genug Sprengstoff, um sicher zu töten. Sie sollten verstümmeln. Ein verwundeter Mudschaheddin war für die Besatzung viel wertvoller als ein toter. Wurde ein Kämpfer verwundet, musste unter Umständen die ganze Operation abgebrochen werden, damit die Kameraden den Mann nach Hause tragen konnten. Die Toten bereiteten nicht solche Probleme, sie ließ man einfach liegen.
    Fahad kehrte zu seiner Gruppe zurück. Er sagte nur:
    – Allahu Akbar.
    Die Worte gingen durch die Gruppe, und als wieder Stille herrschte, führte Fahad sie die Schlucht hinunter. Bei ihm waren vier weitere Männer, darunter sein Bruder Samir, ein junger Mann mit zarten, weiblichen Zügen. Verglichen mit ihm war Fahad deutlich größer und hagerer. Wenn er ruhig dastand, wirkte er linkisch. Aber sobald er sich bewegte,

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