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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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standen an den Fenstern. An dieser Stelle, der engsten im Flusslauf, besaß der Kabul besonders viel Kraft. Die Strömungsgeschwindigkeit wurde durch die Wassermenge bestimmt, die der Staudamm durchließ. Mit einem einzigen Regler konnte der Kontrollraum so viel Wasser hindurchschießen lassen, dass es das Flussbett fluten und die ganze Gruppe hinwegspülen würde. Mehrere Suchscheinwerfer strichen im Zickzack durch das Tal und über den Fluss, ein Lichtkegel huschte direkt vor Fahad vorbei. Er ließ sich sinken, bis nur noch sein Kopf aus dem Wasser ragte. Der Scheinwerfer zog weiter.
    Nur noch eine Armeslänge von der steilen Betonwand entfernt machte sich Samir an die Arbeit. Der Rest der Gruppe baute sich im Halbkreis um ihn auf. Als Fahad sich nicht mehr bewegte, begann er zu zittern. Er konnte nicht aufhören, seine Hände bebten. Weil er fürchtete, sein Bruder könnte Probleme mit der Koordination haben, wollte er ihm helfen und sah dabei, dass Samir die Sprengsätze noch nicht anbrachte. Stattdessen versuchte er, ein Loch in den Beton zu schlagen.
    – Was machst du da?
    Das Tosen des Wassers, das durch den Damm strömte, übertönte ihre Worte. Samir antwortete:
    – Wenn die Sprengsätze ein Stück weit im Beton stecken, breitet sich die Explosion nach innen aus, in die Staumauer. Vielleicht stürzt sogar das ganze Ding ein!
    Fahad war aufgebracht.
    – So lautete der Plan aber nicht. Wir müssen die Staumauer nur beschädigen, das reicht. Ein Loch ist zu riskant. Sie werden uns noch hören! Wir haben keine Zeit!
    – Niemand wird uns hören, der Fluss ist viel zu laut.
    Fahad drängte seinen Bruder:
    – Du musst das nicht tun, um mich zu beeindrucken. Bring einfach die Sprengsätze an und lass uns verschwinden! Halt dich an den Plan! Du musst hier nichts beweisen!
    Beleidigt wandte Samir sich ab und versuchte weiter, ein Loch in den Beton zu meißeln.
    Der Kegel eines Suchscheinwerfers glitt in Schlangenlinien über das Ufer und zum Fuß der Staumauer. Dieses Mal waren die Bewegungen bedächtig und gezielt. Sie hatten etwas gehört. Fahad bedeutete seinen Männern, sich zu ducken, und zog seinen Bruder mit hinunter. Das Scheinwerferlicht traf auf das Wasser und ließ es taghell erstrahlen. Fahad betete.
    Beim ersten Maschinengewehrfeuer reagierte er nur langsam, er hoffte, es sei nicht wirklich, und war erstaunt, wie man die Augen so vor der Wahrheit verschließen konnte. Er wünschte, er könnte die Zeit zurückdrehen und seinem Bruder befehlen, zu Hause zu bleiben. Noch immer unter Wasser sah Fahad, wie sich der Fluss um ihn herum rot färbte. Er stand auf. Es hagelte Salven, Kugeln schlugen in die Staumauer und fetzten durch das Wasser. Einer der Männer trieb an der Oberfläche. Samir lebte, er drückte sich gegen die Mauer und konnte sich nicht rühren, die Angst lähmte ihn. Fahad griff nach den Sprengsätzen. Sie mussten sie jetzt zünden. Dabei würden sie sterben, aber sie würden so viel Schaden anrichten wie möglich. Eine Kugel traf seinen Bruder in den Kopf, er hatte plötzlich kein Gesicht mehr. Fahad ließ die Tasche fallen. Die Sprengsätze trieben davon.
    Die beiden übrig gebliebenen Männer schossen sinnlos zurück, sie leerten ihre Magazine und versuchten Ziele zu treffen, die sie nicht sehen konnten. Fahad feuerte keinen einzigen Schuss ab, er sank auf die Knie und umarmte seinen toten Bruder. Er hatte versagt. Die Liebe zu seinem Bruder hatte ihn blind gemacht. Dieser Junge war kein Soldat. Er hätte sie nie begleiten dürfen.
    Mit einem Grollen stieg das Wasser plötzlich, erst bis zu seinen Hüften, dann bis zu den Schultern. Der ganze Fluss schwoll an. Der Durchfluss wurde erhöht, eine enorme Wassermenge strömte durch die Staumauer. Sie stürzte um ihn herum in den Fluss. Fahad wurde von seinem toten Bruder getrennt, mitgerissen und von der neuen Strömung weggetrieben. Hilflos wurde er flussabwärts geschleudert. Als schlechter Schwimmer geriet er unter Wasser und prallte gegen das Flussbett. Er stieß sich fest ab, aber schon packte ihn die nächste Welle und wirbelte ihn herum. Fahad wurde gegen einen Felsen geschleudert und verlor kurz das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, trieb er an der Oberfläche. Die Strömung hatte nachgelassen, die Flutwelle war abgeklungen, und er konnte sich über Wasser halten.
    In wenigen Sekunden war er mehrere hundert Meter von der Staumauer weggespült worden. Das Rattern der Maschinengewehre klang weit entfernt. Allein ließ er

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