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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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eines Bewohners ihres Hauses lag in der Stille, die ihm folgte. Ein Freund würde etwas rufen, vom Treppenabsatz würde das normale Treiben zu hören sein. Agenten brachten Stille ins Haus – im Flur wurde es leise, alle hielten inne, sahen zu und warteten. Jesse ging zur Tür und rief sich ins Gedächtnis, dass Yates nur auf die leiseste Provokation wartete. Er legte eine Hand auf den Türgriff, wappnete sich innerlich, dann öffnete er die Tür.
    Davor stand nicht Yates, sondern Tom Fluker, ein mürrischer Mann über sechzig, der ein kleines Eisenwarengeschäft an der Straßenecke führte. Er wurde von einer jungen Weißen mit langem, dunklem Haar begleitet. Jesse kannte sie nicht. Bevor er etwas sagen konnte, schimpfte Tom los:
    – Ich habe das Mädchen hier erwischt, als es sich hintenrum ins Haus schleichen wollte, wie ein Dieb. Sie sagt, sie will zu dir. Ich frage sie, warum sie nicht die Vordertür nimmt, wie jeder normale Mensch. Da tut sie verwirrt, als würde sie mich nicht verstehen. Zuerst denke ich, sie stellt sich dumm, aber dann merke ich, dass sie nicht besonders gut Englisch kann. Einen Akzent hat sie auch. Also höre ich noch mal hin. Sie ist Russin! Was hat denn eine Russin bei dir zu suchen? Wir brauchen nicht noch mehr Scherereien, davon haben wir schon genug.
    Jesses Blick wanderte von der jungen Frau zu Toms wutverzerrtem Gesicht. Das FBI versuchte, Jesse in seinem Viertel zu isolieren. Freunde und Fremde, Pfarrer und Geschäftsleute hatten sich offiziell von seinen kommunistischen Ansichten abgegrenzt und ihn als Schande bezeichnet; er sei ganz anders als sie selbst, die hart arbeiteten und ein Amerika schaffen wollten, das Schwarze miteinbezog. Manche wollten vor den Behörden nichts gegen ihn sagen, aber sie hielten die negative Aufmerksamkeit, die Jesse erregte, für sinnlos. Während sie versuchten, in ihren Vierteln bessere Lebensbedingungen zu schaffen und mehr Rechte für die Schwarzen zu erlangen, zog er sie nach unten. Zu diesen Leuten gehörte Tom. Er besaß einen Laden und schuftete, damit seine Kinder es später einmal im Leben weiter brachten. Jesse machte es ihm schwer, diesen Traum zu erfüllen. Tom selbst hatte für Ideologien nichts übrig. Am Ende der Woche zählte er die Dollarscheine in seiner Kasse, und Leute wie Jesse waren schlecht für das Geschäft. Jesse begriff diese Denkweise nicht. Die Ungerechtigkeiten, die man ihm angetan hatte, änderten nichts an seinen Überzeugungen. Für ihn war es die schlimmste Form der Unterwerfung, nicht recht zu handeln aus Angst vor denen, die im Unrecht waren.
    Tom wandte sich an die junge Frau.
    – Du bist Russin. Sag es ihm.
    Sie trat vor.
    – Ich heiße Elena. Mr. Austin, darf ich mit Ihnen reden? Ich habe nicht viel Zeit.
    Sie sprach verständlich, auch wenn Englisch hörbar nicht ihre Muttersprache war.
    – Danke, Thomas. Ich kümmere mich um das Mädchen.
    Tom schwankte, ob er noch etwas sagen sollte. Obwohl er zum Teil sicher versucht war, das FBI anzurufen und sich von dem Vorfall zu distanzieren, war Jesse überzeugt davon, dass Tom ihn bei allen Meinungsverschiedenheiten niemals verraten würde. So ein Mann war er nicht.
    Tom lief die Treppe hinunter, ohne sich umzusehen, schüttelte dabei in ungläubiger Empörung den Kopf und sagte immer wieder laut, als wäre es ein alter, böser Fluch:
    – Eine Russin in Harlem!

Am selben Tag
    Anna ließ den Kopf hängen. Sie wusste, dass die Sache nicht gut enden würde. Sie hatten Agent Yates angelogen – Jesse und sie wussten von dem UN -Konzert an diesem Abend. Die Mitglieder der KPUSA hatten vier Versuche gestartet, Jesse zu einem Besuch zu überreden. Er sollte zu den Menschen sprechen, die man vor den Toren zu einer prokommunistischen Demonstration erwartete. Jedes Mal hatten sie es mit einem anderen Trick versucht: Sie hatte einen weisen Alten geschickt, der beinahe jedes Wort aus Marx’ Feder zitieren konnte; sie hatten eine hübsche, junge Frau geschickt, die Jesse mit ihrer Aufmerksamkeit schmeicheln sollte; danach kamen ein junger, militanter Kommunist, der aggressiv Jesses Solidarität als Genosse einforderte, und ein Ehepaar mittleren Alters, das auch, zumindest angeblich, unter dem FBI zu leiden hatte. Jesse hatte alle abgewiesen, er hatte gesagt, er hätte sich zurückgezogen, er sei alt und hätte schon reichlich Reden für ihre Sache gehalten. Jetzt musste jemand anders, jemand Neues den Kampf ausfechten. Die Vorwürfe, er hätte sich besiegen lassen,

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