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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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sprechen, solange sie noch in den Staaten war, egal ob er eine Szene machte, egal wie sehr er auf seinen Forderungen beharrte. Sie war auf sich allein gestellt.

Manhattan
Hotel Grand Metropolitan
44th Street
Am selben Tag
    Raisa hielt den Telefonhörer fest und verlangte, Mikael Iwanow solle sie wieder mit Leo verbinden. Mikael schüttelte den Kopf, als besäße er persönlich die Kontrolle über sämtliche Telefonverbindungen. Er trug seine Autorität so selbstgefällig zur Schau, dass Raisa zornig wurde. Er erwiderte in einem sachlichen, gemäßigten Tonfall:
    – Die Kostümprobe beginnt in weniger als einer Stunde. Die Schüler haben bereits gegessen. Wir müssen jetzt gehen. Sie benehmen sich unvernünftig. Sie sollen für den reibungslosen Ablauf des Konzerts sorgen. Das ist Ihre wichtigste Aufgabe.
    Raisa merkte erstaunt, wie sehr sie diesen Mann hasste.
    – Eine weitere Minute macht keinen Unterschied.
    – Wenn Sie glauben, dass Sie Ihren Aufgaben ohne Ihren Mann nicht gewachsen sind, hätte er vielleicht diese Reise leiten sollen. Es enttäuscht mich, Sie so unfähig zu erleben.
    Mit diesem abgefeimten Angriff erklärte Iwanow jede weitere Bitte, mit Leo zu sprechen, zu einem beschämenden Eingeständnis, sie wäre in Wahrheit schwach. Man würde ihr kein zweites Gespräch erlauben. Und sie würde nicht betteln.
    Raisa legte den Hörer auf, blieb neben dem Nachttisch stehen und hörte in Gedanken wieder Leos Ratschlag.
    – Wo ist meine Tochter?
    – Wie gesagt, die Schüler haben bereits gegessen. Sie sind auf ihren Zimmern. Sie warten darauf, in den Bus zu steigen. Wir warten alle auf Sie.
    Raisa bemerkte, dass er nicht fragte, welche Tochter sie meinte. Er wusste, dass es um Elena ging. Woher wusste er das? Entweder hatte er das Gespräch mitgehört, oder er war in die Sache verwickelt. Aber worin genau?
    Ohne ein weiteres Wort marschierte sie hinaus, an Iwanow vorbei. Ihr war klar, dass er ihr folgen würde.
    – Raisa Demidowa!
    Sie erreichte das Ende des Gangs und klopfte an Elenas Zimmertür. Iwanow lief hinterher.
    – Was haben Sie vor?
    Als Elena die Tür öffnete, betrat Raisa das Zimmer und wandte sich zu Iwanow um.
    – Bringen Sie die anderen Schüler in den Bus. Ich komme gleich nach. Meine Familie muss Sie nicht kümmern.
    Ohne auf eine Antwort zu warten, schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu.
    Soja und Elena standen nebeneinander, schon in den Kleidern, die sie abends tragen sollten – sie waren bereit für die Kostümprobe. Raisa sagte:
    – Elena, ich möchte, dass du hierbleibst. Wenn alles gut läuft, kannst du morgen bei dem anderen Konzert dabei sein.
    Nach einer winzigen, sprachlosen Pause sprang Elena entrüstet auf sie zu.
    – Wovon redest du? Wieso soll ich nicht zu dem Auftritt gehen?
    – Ich habe mich entschieden. Mehr gibt es nicht zu sagen.
    Elenas Wangen röteten sich. In ihren Augen glitzerten Tränen.
    – Ich bin von Moskau hierhergeflogen, und jetzt sagst du mir, ich soll in meinem Zimmer bleiben!
    – Etwas stimmt hier nicht!
    – Was denn?
    – Ich weiß es nicht. Aber ich habe mit Leo gesprochen, und er glaubt auch …
    Als Raisa Leos Namen aussprach, bereute sie es auch schon. Elena stürzte sich sofort auf die Vorstellung, er würde dahinterstecken.
    Leo! Er war von Anfang an gegen diese Reise. Was hat er denn gesagt? Er ist paranoid. Überall sieht er Intrigen und Täuschungen und Verrat. Er ist krank. Bis in seine Seele krank. Es geht nichts Schlimmes vor sich. Das verspreche ich dir. Ich muss doch nicht in meinem Zimmer bleiben, weil ein verbitterter ehemaliger Geheimagent vergessen hat, dass nicht alles auf der Welt böse und verdorben ist.
    Elena bezeichnete Leo als ehemaligen Geheimagenten, nicht als ihren Vater. Daran war Raisa schuld, sie hatte seine Beziehung zu den Mädchen untergraben.
    Elena fing an zu weinen.
    – Bin ich die einzige Schülerin, die in ihrem Zimmer eingesperrt wird? Ohne Grund? Während alle anderen zu dem Konzert gehen? Und ich soll hier sitzen? Meine richtige Mutter hätte so etwas nie gemacht. Eine echte Mutter würde verstehen, wie demütigend das ist …
    In einem Tausch ihrer üblichen Rollen streckte Soja eine Hand aus und berührte ihre Schwester am Arm, um sie zu beruhigen.
    – Elena …
    Elena zog ihren Arm weg und starrte Raisa an.
    – Nein, ich lasse mir nicht sagen, wie ich mich fühlen soll. Ich lasse mir nicht sagen, wie ich mich benehmen soll. Ich bin kein Kind mehr! Du kannst mir verbieten, zu

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