Agent der Leidenschaft
Sara.
Sie war eine winzige, zarte Frau mit großen grünen Augen, die Elena stets das Gefühl gegeben hatte, dass, ganz gleich was passierte, sie sicher war, solange ihre Mutter um sie war. Sie hatte Gewissensbisse, dass sie nicht öfter nach dem Tod ihres Vaters nach Hause gekommen war und ihre Mutter mit dem Verlust allein gelassen hatte. Das Problem aber war gewesen, dass Elena mit ihren eigenen Gefühlen nach dem Verlust des Vaters hatte fertig werden müssen. Sie hatte Schuldgefühle gehabt, weil sie ihm nie näher gestanden und so wenig Respekt vor ihm gehabt hatte.
„Mir geht es gut, Mom. Wieso bist du noch so spät auf?”
Sara schüttelte den Kopf. „Hitzewallungen. Ich werde wohl zum Arzt gehen müssen.”
„Ich hatte schon Angst, dass wir dich geweckt hätten.”
Ihre Mutter sah von dem dampfenden Becher auf. „Wir?”
„Ich bin heute Abend einem alten Klassenkameraden begegnet. Wir saßen draußen und haben uns das Neueste aus unserem Leben erzählt. Seitdem ich hier bin, habe ich das Gefühl, als wäre ich zu einer Art Wiedervereinigung hier.”
„Wer war es denn?”
„Mein Nachhilfeschüler und Partner beim Abschlussball -
Joe Sanchez.”
Ihre Mutter verzog das Gesicht. „Du solltest ihm aus dem Weg gehen. Ich erinnere mich, dass du ihn mochtest, als du in der Schule warst, aber das ist schon lange her. Der Mann bedeutet Ärger.”
Elenas Augen wurden groß. „Wirklich? Was ist denn los mit ihm?”
„Man redet über ihn und seine Familie.”
„Ach?” Elena erhob sich und ging zum Herd, wo sie sich einen Becher heiße Schokolade einschenkte. „Erzähl mir mehr.”
„Seine Cousine Tina hat einen Kerl geheiratet, der nicht von hier ist. Ich weiß nicht, woher er kommt, aber er hat Geld und keinen Job, wenn du weißt, was ich meine.”
„Du denkst, er schmuggelt?”
„Er macht etwas Illegales. Man redet über die ganze Sanchez-Familie, und das ist ja auch kein Wunder. Denk doch nur an Joes älteren Bruder, der ins Gefängnis kam, ehe Joe überhaupt die Schule beendet hatte. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Und jetzt das! Conchita hätte so was nicht geduldet, wenn sie noch leben würde. Sie hat Tina zu sich genommen, als das Mädchen gerade in die Schule kam.”
„Conchita?”
„Conchita Perez. Sie war Joes und Tinas Großmutter. Sie und die Mutter deines Vaters waren gute Freundinnen. Sie hat sich um deine Großmutter während ihrer letzten Krankheit gekümmert.”
„Das wusste ich nicht.”
„Wieso auch? Du warst ja damals noch nicht geboren.” Sara nippte an ihrer Schokolade. „Man redet darüber, dass Joe etwas mit Bekannten von Tinas Mann zu tun hat.”
„Danke für die Warnung, Mom. Ich verspreche dir, dass ich mich da nicht reinziehen lasse.”
Was ein Versprechen war, das sie nicht einhalten wollte. Ihre größte Hoffnung war vielmehr, dass sie direkt in alles hineinkäme, was in Santiago ablief. Je eher, desto besser. Sie wusste nicht, wie lange sie es ertragen konnte, wenn die Vergangenheit immer wieder hochkam. Wichtig war, dass sie überlebt hatte.
Das musste doch für etwas gut sein.
Erst später in der Nacht, als sie sich unruhig im Bett wälzte, besann Elena sich auf Joes Bemerkung über ihren letzten gemeinsamen Abend. Wenn er ihr die Wahrheit erzählt hatte, dann war der Abend damals für ihn ebenso beschämend gewesen wie für sie, was die ganze Sache in ein neues Licht tauchte.
All diese Jahre hatte sie sich an ihren Schmerz geklammert, ohne daran zu denken, wie er diesen Abend empfand.
Sie merkte auch, dass sie trotz der Monate, die sie gemeinsam gelernt hatten, sehr schnell die schlimmsten Motive für sein Verhalten anzunehmen bereit war.
Damals hatte sie sich immer im Nachteil gefühlt, war unsicher gewesen und voller Misstrauen allen Männern gegenüber.
Und was für eine Entschuldigung hatte sie heute?
4. KAPITEL
Joe fuhr direkt von Elena nach Hause. Eigentlich wäre er lieber zurück in die Bar gefahren und hätte sich mit Alkohol betäubt. Das Problem dabei war ein doppeltes - er würde Chicos Fragen ertragen müssen, wieso er mit Elena losgezogen und ohne sie innerhalb einer Stunde zurückkam, und er wollte auch keinen Kater haben, der einem Abend intensiven Trinkens unweigerlich folgen würde. Früher oder später würde er sich mit dem auseinander setzen müssen, was Elena ihm antat.
Wie hatte er nur vergessen können, welche Wirkung sie auf ihn gehabt hatte? Es war egal, ob er achtzehn oder neunundzwanzig war. Nur
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