Agent der Sterne
dem Parkplatz setzten wir unsere Debatte fort, wobei keiner von uns beiden auch nur einen Millimeter nachgeben wollte, bis Miranda vorschlug, Carl um Rat zu fragen. Miranda hatte gemeint, dass wir am nächsten Morgen zu ihm gehen sollten, aber Joshua und ich waren uns darin einig, dass die Frage unverzüglich geklärt werden musste. Wir fuhren zu Carls Haus, Joshua in Mirandas Wagen, damit wir uns nicht gegenseitig an die Kehle gingen.
Am Ende meines Berichts war der Kaffee fertig. Carl holte drei Tassen aus dem Schrank, goss ein und reichte zwei an mich und Miranda weiter. Nach kurzer Überlegung füllte er auch eine Schüssel mit etwas Kaffee und stellte sie vor Joshua auf den Boden.
»Das ist eine interessante philosophische Streitfrage«, sagte Carl. »Aber ich weiß immer noch nicht genau, was Sie von mir erwarten.«
»Ganz einfach«, sagte Joshua. »Du sollst dich für eine Seite entscheiden. Mir wäre es lieber, wenn es meine Seite wäre.«
»Joshua, das hier ist keine Kneipenwette«, sagte Carl verärgert. »Es geht nicht darum, welches Team ich anfeuern möchte. Und falls ich für Tom Partei ergreifen sollte, glaube ich eher, dass du sowieso nicht tun wirst, was er von dir möchte.«
»Da hast du Recht«, sagte Joshua. »Dann haben wir dich wohl völlig umsonst geweckt. Wir sollten wieder gehen. Danke für den Kaffee.«
»Sitz, Joshua«, sagte Carl.
»He!«, beschwerte sich Joshua. »Das ist nicht witzig.«
»Tom«, wandte sich Carl an mich. »Ihnen ist hoffentlich Folgendes klar. Wenn Joshuas Diagnose stimmt, dass Michelle so gut wie tot ist, hat er auch Recht mit seiner Ansicht, dass sie nicht zurückgeholt werden darf.«
»Warum?«, sagte ich. »Michelle ist gestorben. Sie braucht diesen Körper nicht mehr. Aber wir könnten ihn gut gebrauchen. Die Sache ist doch völlig klar.«
Neben mir schüttelte sich Miranda und stellte ihre Kaffeetasse auf der Anrichte ab.
»Stimmt was nicht?«, fragte Carl.
»Tut mir leid«, sagte Miranda. »Ich habe ja durchaus Verständnis für Toms Vorschlag, aber die Vorstellung, dass sich Joshua in Michelles Körper ausbreitet, ist mir unheimlich. Ich habe sofort das Bild vor Augen, wie Michelle als Zombie herumläuft. Mein Bauch sagt mir einfach, dass das nicht richtig ist.« Sie blickte mich an und schlug gleich darauf die Augen nieder. »Tut mir leid, Tom. Aber so sehe ich es.«
»Ich schließe mich diesem Gefühl an«, sagte Joshua.
»Ach, halt die Klappe!«, sagte ich zu Joshua.
»Mein Gott!«, sagte Carl. »Ihr beiden seid schlimmer als zwei Kinder auf dem Rücksitz. Tom, wenn Michelle sterben wollte, sollten wir sie sterben lassen. Vollständig. Michelles Körper ist Michelle. Im Gegensatz zu Joshuas Artgenossen sind unsere Seelen, sofern wir tatsächlich welche besitzen, offenbar permanent an unseren Körper gebunden. Michelle hat das Recht, sterben zu wollen und nicht wie eine Marionette herumgeführt zu werden.«
»Ja. Völlig richtig. Danke«, sagte Joshua.
»Keine Ursache«, sagte Carl und nahm schlürfend einen Schluck Kaffee. »Aber ich stehe auch nicht auf deiner Seite.«
»Wie meinst du das?«, fragte Joshua.
»Joshua, ich möchte dir eine Frage stellen«, sagte Carl. »Was würdest du tun, wenn du feststellen würdest, dass Michelle in Wirklichkeit weiterleben wollte?«
»Das wollte sie aber nicht«, sagte Joshua. »Deutlich habe ich ihre Erinnerung gesehen, wie sie die Röhrchen herausgezogen hat. Es war eine bewusste, aktive Tat. Es kann nicht zufällig geschehen sein.«
»Das mag sein«, sagte Carl. »Aber das spielt für die Beantwortung meiner Frage keine Rolle.«
»Aber sicher«, widersprach Joshua. »Weil genau das geschehen ist.«
»Gut«, sagte Carl. »Also stelle ich die Frage hypothetisch. Wenn du mit einer Situation zu tun hättest, die fast genauso gelagert ist wie bei Michelle, mit der einzigen Abweichung, dass die nun im Koma liegende Person eigentlich weiterleben wollte, würdest du dann ihren Körper übernehmen, wenn dich jemand dazu auffordern würde, der sich in Toms Situation befindet?«
»Nein«, sagte Joshua, »weil diese hypothetische Person trotzdem schwere Hirnschäden hätte, was bedeuten würde, dass ich den Körper niemals richtig benutzen könnte.«
»Nehmen wir mal an, es gäbe eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen.«
»Das ist eine sehr weit hergeholte Annahme«, sagte Joshua.
»Das ist das Wunderbare an hypothetischen Überlegungen, Joshua«, sagte Carl. »Man kann annehmen, was man möchte.
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