Agent der Sterne
nicht.
»Aber Miss Beck hat keine Verwandten oder enge Freunde«, sagte Mizuhara.
»Okay«, sagte ich. »Und?«
»Tom«, sagte Carl. »Nichtsdestotrotz hat Michelle jemanden angegeben, der solche Entscheidungen für sie treffen soll. Nämlich Sie.«
Ich suchte einen Stuhl und setzte mich.
»Sie wussten es wirklich nicht?«, fragte Adams.
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. »Nein. Ich wusste es nicht.«
»Tut mir leid«, sagte Adams. »Das kann eine sehr schwere Aufgabe sein.«
»Tom«, fragte Carl mich noch einmal, »was schlagen Sie vor?«
Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und saß einfach nur ein paar Minuten lang da, während ich von Trauer und Schuldgefühlen überwältigt wurde. Ich war davon überzeugt, dass nur meine Handlungen die Ursache für Michelles Unglück waren. Und jetzt sollte ich Entscheidungen treffen, die sich auf den Verlauf ihres weiteren Lebens auswirken mochten. Wenn das alles vorbei war, würde ich mich einmal gründlich ausweinen müssen.
Aber nicht jetzt. Ich ließ die Hände sinken.
»Wir behalten sie hier«, sagte ich.
Aber ich hatte keine Ahnung, wie es danach weitergehen sollte.
15
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Natürlich sickerte die Sache schließlich durch, auch wenn sich nicht mehr rekonstruieren ließ, wo das Leck aufgetreten war. Irgendwann nach dem Schichtwechsel um zwei Uhr griff ein Hausmeister, eine Krankenschwester oder ein Arzt zum Telefon, um seine Freunde und Verwandten aus dem Bett zu klingeln, denn es passierte ja nicht alle Tage, dass man die angesagteste Schauspielerin der Vereinigten Staaten in seiner Klinik hatte, auch wenn man kein Autogramm von ihr bekommen würde, weil sie im Koma lag. Um 3.35 Uhr rief eine dieser Freundinnen oder Verwandten den Radiosender KOST-FM an und wollte »Your Eyes Tell Me« hören, den berühmten Titelsong von Summertime Blues, weil sie gehört hatte, dass Michelle Beck gestorben war. Nachdem das Lied gespielt worden war, meldete sich eine andere Anruferin und erklärte, dass sie nicht gestorben war, aber im Koma lag. Außerdem hatte sie gehört, dass Michelle ihre Hornhaut Marlee Matlin spenden wollte, die schließlich taub war.
Zufällig war KOST der Lieblingsmorgensender von Curt McLachlan, dem Chefredakteur der Morgennachrichten von KABC, der um 3.35 Uhr gerade mit seinem Wagen auf dem Weg zur Arbeit war. Als Erstes schaltete er »Your Eyes Tell Me« ab, weil es nach objektiven Maßstäben der schlechteste Popsong des gesamten Jahrzehnts war. Als Zweites rief er über sein Autotelefon sein berufliches Pendant bei Good Morning America an. Um 6.37 Uhr Ostküstenzeit wurde im Studio alles darauf vorbereitet, in Kürze auf Sendung zu gehen. Der Nachrichtenchef brüllte die Leute vom Videoarchiv an, Ausschnitte mit Michelle zusammenzusuchen, und eine arme, noch etwas verschlafene Praktikantin, die neunzehn Jahre alt war und erst seit zwei Tagen ihren Frondienst ableistete, sollte einen Text für die Sprecher vorbereiten. Sobald McLachlan das Gespräch mit Good Morning America beendet hatte, riss er seinen zuständigen Themenredakteur aus dem Tiefschlaf und sagte ihm, dass er Material für einen Beitrag zusammenstellen sollte. Als er das Radio wieder einschaltete, hörte er gerade noch den Teil mit der Hornhautspende für Marke Matlin. Das löste eine weitere Runde von Telefonaten aus.
Die Nachricht, dass Michelle gestorben war/im Koma lag, wurde um 7.03 Uhr an der Ostküste und um 4.03 Uhr an der Pazifikküste ausgestrahlt. Die Leute von GMA hatten zumindest die Geistesgegenwart, darauf hinzuweisen, dass die Meldung aus »unbestätigten Quellen« stammte. Was allerdings kaum noch eine Rolle spielte. Die Chefredakteure von Zeitungen und Zeitschriften an der gesamten Ostküste der Vereinigten Staaten sprangen von ihrem Frühstück auf, riefen ihre Reporter zu Hause an und verlangten eine Bestätigung dieser Neuigkeit. Es war der größte potenzielle Todesfall eines jungen Stars, seit Heath Ledger ein paar Tabletten zu viel genommen hatte.
Mein Telefon klingelte zum ersten Mal um 4.13 Uhr. Es war die Klatschkolumnistin der New York Daily News, die wissen wollte, was an der Geschichte dran war. Ich legte gleich wieder auf und zog den Telefonstecker. Eine knappe Minute später klingelte mein Handy. Ich schaltete es aus. Dann fiel mir ein, dass mein zweites Handy irgendwo im Wald lag, wo Joshua es verloren hatte. Ich schloss mein Haustelefon wieder an, das schon im nächsten Moment klingelte. Ich nahm den Hörer ab, legte sofort wieder auf und
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