Agenten kennen kein Pardon
neues Leben. Stockend erzählte sie ihre Erlebnisse, die Entführung, die Flucht, die Wanderung durch das Gebirge. Stumm hörten die Männer zu. Eine leise Ahnung von den Kräften, die Not im Menschen erzeugt, von der Liebe, die in einer Frau verborgen sein kann, machte sie wortlos. Als Mabel Paersons Erzählung beendet war und sie schwach auf die Decken zurücksank, sahen sie sich groß an.
Einer wandte sich an die anderen. »Jungs, wenn es dunkler wird, reiten wir los.«
»Ich reite mit«, sagte Mabel und richtete sich auf.
Die Männer blickten sie zweifelnd an. »Sie können wirklich reiten?«
»Ich habe es auf der Universität gelernt.«
»Aber das Mädel ist doch viel zu schwach!« protestierte ein anderer, älterer Mann mit einem Schnurrbart.
»Nein! Nein!« Mabel sprang auf. Sie taumelte ein wenig, aber krampfhaft hielt sie sich am Zaun fest und lächelte mit verzerrten Lippen. »Ich fühle mich ganz wohl. Die Ruhe hat mir gut getan.« Sie ging zu einem der Pferde und klopfte ihm den Hals, strich ihm über die Nüstern und die breite, gescheckte Brust. Das Pferd beschnupperte sie, sah sie einen Augenblick verwundert an und rieb dann den Kopf an ihrer Schulter. Vertrauen lag in dieser Bewegung, Liebkosung und Treue.
Als es dunkel wurde, saßen sie in den Sätteln und ritten langsam ins Gebirge. Zuerst den Weg, den Mabel gekommen war – es war ein Pfad, der durch einen Tannenwald führte, um in einer Felsschlucht abrupt zu enden. Hier hielten sie an und blickten sich um.
»Woher sind Sie gekommen, Miß Paerson?« fragte der Mann mit dem Schnurrbart. »Durch die Schlucht oder links am Waldrand entlang um den Felsen herum?«
Mabel sah sich um. Alles kam ihr unbekannt vor, völlig fremd, als sei sie nie in dieser Gegend gewesen. Bin ich durch eine Schlucht gegangen? Oder am Wald entlang? War es überhaupt dieser Wald? Irgendwo bin ich doch einen Abhang herabgefallen und dann in eine Fallgrube.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie weinerlich. »Ich bin gelaufen … immer nur gelaufen … ich habe gar nicht hingesehen, ob es Wege oder Schluchten oder Waldränder waren … immer geradeaus laufen, habe ich gedacht … einmal triffst du auf einen Menschen.«
»Hm. Und Sie haben sich nichts Besonderes gemerkt?«
»Doch. Ein kleiner Hohlweg, der quer mit einer Fallgrube durchzogen war.«
Der Viehhüter richtete sich im Sattel auf.
»Das könnte das Jagdrevier von Corner-Jack sein. So viel ich weiß, müssen wir dann durch diese Schlucht und einen kleinen, gewundenen Pfad über ein Plateau. Los denn …«
Sie ritten in die Schlucht hinein. Der erste Reiter leuchtete mit einer starken Stablampe den Weg ab, ihm folgten der Ältere und Mabel. Die beiden anderen bildeten den Schluß.
Sie ritten eine halbe Stunde. Plötzlich hielt Mabel ihr Pferd an.
»Hier war es!« sagte sie laut vor Freude. »Hier bin ich den Hang herabgefallen.« Sie zeigte auf einen mäßig steilen, glatten Felshang, der links neben ihnen aufstieg. »Wir müssen oben auf den Pfad.«
Sie ritten ein Stück zurück und kletterten mit den Pferden über Geröll und dicke Steine, bis sie den Pfad erreichten, der anscheinend auf halber Höhe rund um den Berg lief. »Ein alter Indianerweg«, nickte der alte Viehhüter. »Diese Pfade führen in die einsamsten Gegenden.«
Es dauerte eine Stunde, bis sie den Hohlweg erreichten. Die Fallgrube war noch offen, so, wie sie Mabel verlassen hatte.
»Wir sind auf dem richtigen Weg … wir werden Ralf finden!« jubelte sie und trieb ihr Pferd an. Man kam jetzt schneller vorwärts, weil sich der Hohlweg verbreiterte und auf ein Hochplateau zuführte.
Plötzlich, am Ausgang des Weges, hielt der erste Reiter an und löschte seine Stablampe. Einen Augenblick war tiefste Finsternis um sie.
»Da!« sagte der Viehhüter. »Da … am Himmel …« Er zeigte mit ausgestrecktem Arm geradeaus.
In das Schwarz der Nacht mischte sich fern ein fahler, rötlicher Schimmer. Ein kleiner Fleck nur, aber er fiel auf in der mondlosen Nacht.
»Das ist Feuer«, sagte der Alte leise.
»Ralf!« Mabel klammerte sich am Sattelknopf fest. Sie fühlte, wie die Kräfte sie wieder verließen, wie sie jeden Augenblick zu Boden gleiten würde. »Er lebt!«
»Voran!« Die Reiter spornten die Pferde an und jagten über das glatte Hochplateau. Der Strahl der Stablampe zitterte ihnen wieder voraus.
Es war ein beschwerliches Reiten durch den Wald, den kein Weg durchzog. Man ritt durch Lücken und kletterte über vermorschte, umgestürzte
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