Agenten kennen kein Pardon
Stämme. Plötzlich standen sie vor einer Wiese, die zu einer Felsenkanzel allmählich emporstieg. Oben, auf der Kanzel, loderte ein riesiger Reisig- und Holzhaufen und erhellte die Umgebung mit seinem rötlichen, zuckenden Licht.
»Ralf!« schrie Mabel. Die Freude, das Glück, ihn gerettet zu sehen, alle Liebe ihres Lebens lagen in diesem Aufschrei. Sie wußte nicht, wie sie die Wiese emporgeritten war – sie glitt aus dem Sattel und warf sich über das Bündel, das in Decken gehüllt unweit des Hitze ausstrahlenden Holzstoßes lag.
Dr. Bouth war besinnungslos. Er lag ruhig, als schlafe er, in seine Decken gewickelt. Nur die Augen, die halb geöffnet und leblos waren, zeigten, daß er seit dem Anstecken des Feuers, bei dem er sich aufgerichtet haben mußte, ohne Besinnung war. Vielleicht war er sogar herumgelaufen, hatte versucht, zu gehen. Der Blechdeckel mit Wasser neben ihm war leer.
»Ralf«, sagte Mabel und küßte die aufgesprungenen Lippen. »Ralf, nun ist alles gut. Jetzt trennt uns keiner mehr. Jetzt haben wir unser Leben zum zweitenmal gewonnen … Ralf … o Ralf …«
Die Viehhüter standen um sie herum und hatten die Hüte abgenommen. Sie sahen den blassen Mann, über dessen verzerrtes Gesicht der Schein des Feuers zuckte, und sie blickten sich an, stumm und verschlossen. Zu spät, dachten sie. Er ist nicht mehr zu retten.
Der Alte beugte sich zu Mabel nieder und berührte ihre Schulter.
»Miß Paerson«, sagte er leise. »Kommen Sie. Wir werden ihn auf ein Pferd binden. Jack wird ihn halten.« Er schluckte und strich sich über seinen Schnurrbart. »Ich glaube, wir haben keine Minute zu verlieren … wenn … wenn …«
Er wandte sich ab und winkte den anderen.
Dr. Bouth wurde in seinen Decken auf ein Pferd gehoben.
Knisternd brannte das Feuer – die Feuerlohe rauschte gegen den schwarzen Himmel.
*
Der Wein funkelte in den Gläsern.
Prof. Dr. Shuster saß in einem der Sessel von Paersons Salon und sah den Rauchkringeln nach, die er kunstvoll aus seiner Zigarre blies. Prof. Paerson stand mit dem Rücken an das Radio gelehnt und hatte beide Hände in die Taschen seines Sommerjacketts gesteckt. Er rauchte nicht.
Hinter ihm, über dem Kamin, hing eine Wandtafel mit der schematisch bunten Darstellung der Elemente und, auf Leinen aufgezogen, eine Zeichnung der ersten Atombombe der Welt, die an einem Stahlmast in der Wüste von New Mexico 1945 explodierte.
Prof. Dr. Paerson sah seinen Freund an. Ihr Gespräch war in den Problemen ihres Lebens festgelaufen … es gab anscheinend keine Lösung aus dem Labyrinth der Thesen und Gegenthesen, aus jenem Irrgarten der Gedanken, den Nietzsche einmal das Paradies des Wahnsinns nannte. Man hatte sich festgebissen an idealen Phrasen und nüchternen, eisklaren Beweisen, an religiösen Dogmen und freidenkerischer Kosmopolitik. Und doch ging es in allen Gedanken nur um eins, um jenes Etwas, das im Mittelpunkt unserer Erde steht und das Jahrtausende seine Unzulänglichkeit bewiesen hatte.
Der Mensch.
Prof. Dr. Shuster legte seine Zigarre in einen marmornen schwarzen Aschenbecher, dessen weiße Adern schon ein wenig gelb geworden waren. Er war ein Veteran, dieser Aschenbecher … er war eines der ersten privaten Stücke, die nach Los Alamos kamen, als man diese Stadt aus der Erde der Cañons stampfte.
»Du kannst dich drehen«, sagte Prof. Shuster langsam und sah Paerson in die bebrillten Augen. »Wo du hinsiehst, erblickst du die Welt.«
»Und sie ist in Gefahr, Henry.«
»Durch dich, willst du sagen.«
»Ja. Ich hätte der Menschheit nicht zeigen sollen, was sie vermag. Ich habe gesündigt in dem Augenblick, indem ich zeigte, daß der menschliche Geist größer ist als die Kraft der Natur. Eine Wahrheit, die alle Philosophie von Jahrtausenden ins Gesicht schlägt, die Kant, Schopenhauer, Descartes, Nietzsche, Leibnitz, Huxley der Lüge bezichtigt. ›Die Grenze des Menschen‹, so sagte einmal Rousseau, ›ist der Himmel.‹ Habe ich aus ihm nicht einen lächerlichen Gaukler gemacht? Was ist denn der Himmel? Ich kann ihn mit einer Kettenreaktion von Wasserstoffatom-Spaltungen in eine einzige Flamme verwandeln! Der Mensch hat die Natur, die Kräfte des Universums, für sich gewonnen! Nur in einem Punkte werden alle Philosophen recht behalten: Wir werden zugrunde gehen an unserer eigenen Größe. Das Gesetz der Evolution zeichnet sich grauenhaft wahr ab … der Mensch steht an der Grenze seiner Möglichkeit, seinen eigenen Geist noch zu halten.« Paerson
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