Agenten kennen kein Pardon
drang.
Kühe, dachte sie. Ein Schreck aus Freude und Erlösung riß sie von der Wiese empor. Kühe … wo Rinderherden sind, sind auch Menschen. Menschen, die helfen … Menschen, die Ralf retten …
Sie watete durch den Bach mit hochgehobenem Rock und rannte dann durch einen lichten Tannenwald dem Klang der Rinderherde entgegen.
Sie lief durch den Wald und kam auf eine weite Wiese, die allmählich, mit kleinen Buckeln, zu einem breiteren Feldweg abfiel. Es war ein friedliches Tal, an dem auf der gegenüberliegenden Seite der Wald wieder bergan stieg. Ein Fluß durchzog die grüne Senke wie ein blinkendes Meßband.
Unten, am Ufer des Flusses, weidete eine Rinderherde. Auf dem Zaun des großen Korrals, in den die Herde bei Anbruch der Dunkelheit getrieben wurde, saßen vier Cowboys, hatten die breiten Filzhüte in den Nacken geschoben und rauchten. Ihre Pferde standen neben ihnen, gesattelt und bereit, bei irgendeiner Gefahr die Herde zusammenzutreiben.
Mabel verharrte einen Augenblick. Der Übergang von der einsamen Wildnis in den Anblick friedlicher Menschen war zu groß. Sie sah vom Waldrand einen Augenblick starr hinab auf die Rinder und die rauchenden Männer, dann erfaßte sie ein wilder Schwindel, der Wald und die Wiese wurden ein Kreis, der sich schnell und immer schneller vor ihren Augen zu drehen begann, sie fühlte, wie sie zu Boden glitt … nein, schrie sie sich an. Du darfst jetzt nicht zusammenbrechen. Jetzt bist du doch am Ziel, jetzt ist Ralf gerettet!
Da schrie sie auf, grell, laut – es hallte über die Wiese und riß die Männer von ihrem Zaun empor. Sie sah noch in dem Wirbel aus Grün und Blau, wie sie die Wiese hinauf rannten, wie sie auf sie zeigten, dann fiel sie in das trockene Laub und verlor die Besinnung.
Etwas Nasses und Kaltes lief ihr über das Gesicht, in den Hals, über die Brust. Entfernte Stimmen sprachen undeutlich.
Mabel Paerson erwachte. Sie richtete sich auf und sah, daß man sie verbunden hatte, daß ein nasses Tuch über ihrer Stirn gelegen hatte und daß sie jetzt auf einigen dicken Decken ruhte, umringt von vier erstaunten und unrasierten Männern.
Sie wollte etwas sagen, aber der eine der Weidereiter schob ihr einen Becher an die Lippen. Sie schnupperte. Es war ein scharfer Schnaps, den sie in kurzen, aber hastigen Zügen trank. Er durchrann sie wie Feuer und ließ das Herz schneller schlagen.
»Das nenne ich eine Überraschung«, sagte der eine der Männer. »Fällt da ein Mädchen vom Himmel.« Er lachte. »Bist nur ein wenig zu hart gefallen, Kind. Haben allerhand an dir verpflastern müssen. Wo kommst du denn her?« Er zwinkerte ihr zu. »Wohl aus 'nem netten, kleinen Gefängnis ausgebrochen, was? Urlaub auf eigene Faust, was? Brauchst keine Angst zu haben – bei uns biste sicher, und dicht halten wir auch.«
»Die ist richtig«, sagte der zweite, der ihr den Becher wegnahm. »Halb leer! Warst wohl mal an der Bar, Mädchen?«
Mabel Paerson fuhr empor. Sie hatte fast nichts, was die Männer mit breitem Grinsen sagten, verstanden. Die Worte gingen an ihrem Verständnis vorbei, es war ein Rauschen, das sie vollends in die Wirklichkeit zurückriß.
»Rettet ihn«, stammelte sie. »Sofort reiten … Er wartet … dort in den Bergen … Schwerverletzt …« Sie schluckte und atmete tief die durch den Abend angekühlte Luft ein. Das machte sie stärker und klar genug, um den sie betroffen ansehenden Männern alles deutlicher zu erklären.
»Wo kommen Sie her?« fragte einer der Männer verblüfft. »Vom Emmons Peak? Quer durch die Uinta Mountains? Mein Gott, das ist ein Weg, den ich selbst meiner Schwiegermutter nicht gönne.«
»Reden Sie nicht so viel«, bettelte Mabel. »Reiten Sie. Den Weg immer geradeaus, und dann …« Sie stockte, denn sie wußte nicht mehr all die Schluchten und Hänge zu bezeichnen, die sie in den vergangenen Stunden hinter sich gelassen hatte. Sie wußte nicht einmal, in welcher Richtung Ralf jetzt lag … ob sie in den Bergen abgekommen war und einen Bogen geschlagen hatte, ob sie seitlich von ihm war oder ob er vielleicht sogar auf der anderen Seite lag, weil sie in einem großen, ungeschlossenen Kreis gelaufen war. Sie hatte die Richtung völlig verloren und sah die Männer hilflos an. »Ich weiß nicht mehr, wo die Stelle ist«, stammelte sie. »Er will, wenn es dunkel wird, ein großes Feuer anzünden, dessen Schein wir nicht verfehlen können.«
Sie trank aus dem Becher wieder den scharfen Schnaps. Er durchrann sie wie ein
Weitere Kostenlose Bücher