Agenten - Roman
im Auge, und manchmal montierten wir im Stillen ihre anschauliche Drastik auf die Gebärden unserer eigenen Erschöpfung.
Mithalten, nur mithalten. Den Aufschrei des Weckers ertragen und es vermeiden, Sarah so früh zu begegnen. Kalte Dusche im Bad, in Gedanken den Tag überfliegen. Abwägen der erhofften guten Momente gegen die trübe Versandung. Knappe Begrüßung, und am Tisch erstes Unwohlsein unterdrücken. Vater ausreden lassen und seiner Zerfahrenheit mit keiner Geste begegnen. Kurze Repetition eines sich widersetzenden Stoffes, im Wagen massive Ruhe bewahren, Sarahs Anspielungsticks widerstehen. Mit Walter die Hefte tauschen
und seine Prognosen mit den eigenen vergleichen. Laufende Punktekalkulation. Den Vormittag bis zum Bodensatz verrinnen lassen, besondere Teilnahme nur wenn unbedingt nötig. Heimweg in kleinen Etappen, flippern, zwei Zigaretten, im Café Dunges zum kurzen Gespräch mit den andern. Zu Hause das Aufgewärmte verschlingen und sofort in das eigene Zimmer. Glatte Rückenlage, die Sinne in mattem Verfall. Sich der Müdigkeit nicht hingeben, sondern rechtzeitig Verbindung aufnehmen. Telephonieren. Platte auflegen und jede Stimmung verleugnen. Lesen, mindestens eine Stunde, und nur das, was dir paßt. Ohne bemerkt zu werden nach draußen. Mit dem Rad die gewissen Punkte ansteuern. Nirgends zu lange verweilen, mit dem feinen Sinn für alle ergiebigen Kontakte. Noch einmal eine Tasse Kaffee und ein paar Zeitschriften durchmustern. Die Laune stabilisieren. Bei Erfolg für eine Runde ins Echo. Drei oder vier gemischte Doppel und die Gespräche rechtzeitig abwürgen, wo sie ins Reibungslose abdriften. Den Stillstand zur Schmerzgrenze treiben, kehrt, Richtung kehrt, höchstens Walter zur Hand gehen und einen letzten Blick auf seinen unermüdlichen Vater, der kurz vor dem Feierabend lächelt und grinst. Nach Hause, die Aufgaben anpeilen, alles Überflüssige aussortieren. Konzentriert kleine Gewißheiten suchen. Ein gekühltes Bier aus dem Eisschrank, um die pochenden Schläfen gezielter zu nerven. Nichts mehr essen, sonst ist der Abend jetzt schon gelaufen. Zwei Zigaretten und langsamen Schrittes noch einmal durch diese gerissenen Attrappen. Alle paar Wochen ins Kino, und dann sollst du La strada ertragen, diese katholische Schnulze mit Männern aus Fleisch und Frauen aus Blut. Nichts, nichts, niemand und nichts, noch immer meldet die Gegenwart nichts. Du sitzt unter dem wandernden Mond, du schaust zu den
Wolken, du hältst noch eine Weile aus in der Nacht, dann ist es wieder vorbei.
Blok hatte mit alldem nichts mehr zu tun. Die Schule forderte ihn nicht, er hielt mühelos mit und verbesserte höchstens sein Englisch, um in einer Sache ganz sicher zu werden. Ich bemerkte, wie sehr er sich veränderte. Er sprach nicht mehr von zu Hause, auch meine Schilderungen weckten kaum noch sein Interesse. Es war, als sei er plötzlich erwacht oder hellhörig geworden, denn er reagierte sensibel auf die zahllosen Reize um ihn herum. Er begann, mich auf vieles hinzuweisen, er wollte nur, daß auch ich es sähe, daß mein Blick sich immer mehr sättigen sollte an den verstreuten Details und daß man den Glauben, alles sei schon bekannt, nur einer müden Bequemlichkeit verdankte.
So hatte er mit der Zeit eine findige Haltung angenommen, er wurde schnell, schnappte zu, wo immer er etwas Neues vermutete, und kombinierte seine Beobachtungen oft so verblüffend, daß ich etwas darum gegeben hätte, mittun zu können. Wiesbaden, schien mir, kam ihm entgegen; er entwickelte einen besonderen Sinn für Heimlichkeiten, und die Stadt bot genügend, um ihn zufriedenzustellen. Ich ahnte kaum noch, wie er seine Tage verbrachte, aber schon die Art, wie er mich mit einem knappen Wink auf etwas aufmerksam machte, dessen Erforschung er längst hinter sich hatte, ließ mich eifersüchtig werden. Er hatte mit einem gefälschten Ausweis das Spielcasino besucht, er hatte sich in einer der kleinen Bars umgeschaut, die in einer schmalen Gasse in der Nähe des Dortmunder ein Hinterbliebenendasein führten, er wußte, wo man in der Nacht gegen drei auf einen Jazzpianisten traf, der nach Themen von Oscar Peterson improvisierte, und er
deutete mit ein paar knappen Kopfbewegungen an, wo er gelegentlich seine Mitschüler traf.
Ich hatte den Eindruck, er sei den ganzen Tag unterwegs, langsam und doch bewußt von einer Gelegenheit zur andern schlendernd, ein zielloser Verbraucher von Nachrichten, Gesprächen und dem neusten Klatsch,
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