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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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hielten sich an der Theke auf und fanden sofort einen Faden, an dem sie die Unterhaltung entlangführen konnten. Ich beobachtete sie, und mir fiel auf, daß Blok sie belauschte, ohne sich etwas anmerken zu lassen.
    Die Zeit verging rasch, und Blok behandelte mich wie einen Stammkunden, mit dem man sich durch langjährige Routine schweigend verstand. Endlich gab er mir ein Zeichen zu warten, er flüsterte dem Mixer lächelnd ein paar Worte zu, eilte davon und kam kurz darauf umgezogen zurück.
    »Schluß? Aus?« fragte ich.

    »Du hast genug Champagner getrunken«, erwiderte er.
     
    Das alles ereignete sich vor dem letzten Winter, den ich noch zu Hause verbrachte. Es war ein harter, langer Winter, und alle redeten darüber, welche Umstände es machte, mit ihm fertigzuwerden. Frühmorgens gegen fünf standen die Ersten mit der Schaufel vor ihrem Haus, doch sie kamen nicht gegen das Treiben an, und die Schneemassen deckten Straßen und Wege zu wie noch nie. Unaufhörlich kreisten die Pflüge mit ihren matten, milchigen Leuchten durch die Kreisstadt, und rechts und links der Straße türmten sich die aufgeworfenen Wälle. Die Schulbusse hatten große Verspätung, und oft schaffte es in unserer Klasse nur die Hälfte der Schüler, rechtzeitig zum Unterricht zu erscheinen. Für Wochen lebte man in dieser Zurückgezogenheit, eine eisige Kälte trieb einen ins Haus, nur die Jüngeren hatten Spaß daran, Schlitten zu fahren.
    Manchmal jedoch hielt es mich nicht länger in den eigenen vier Wänden, und ich mußte hinaus, zu Fuß, um mich durch die Verwehungen zu arbeiten. Ich hatte mich warm angezogen, ich trug eine dicke Wollmütze, die über beide Ohren reichte, und dazu ein Paar bunter Handschuhe, die Sarah gestrickt und mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Walter hatte sich eine alte Felljacke seines Vaters übergestreift und die untere Hälfte seines Gesichts mit einem Schal vermummt. Der hohe Schnee verdeckte all die tristen, sonst so ins Auge fallenden Halden, selbst das Industriegebiet am Rand der Stadt erschien einem jetzt wie ein freundliches Parkgelände, auf dessen weißen, weiten Flächen die Lastwagen mit ihren Schneeketten prägnante Muster hinterließen.
    Wir gingen langsam auf einer der kleineren, frei geschaufelten Straßen entlang, und ich dachte daran, daß man sonst
nie in dieser Landschaft spazierenging, weil sie nichts Verlokkendes hatte, das solche Geduld belohnt hätte. Wir waren vor kurzem gemustert worden, und Walter erzählte davon, wie sehr er gehofft hatte, nicht eingezogen zu werden.
    »Doch ich wußte gleich, daß es schiefgehen würde. Als mich der Pförtner am Eingang anhielt, wußte ich es schon. Aber ich dachte mir, alles bloß Aberglaube, geh rauf, leg ihnen die Atteste vor, sie werden sich umschauen. Hast du auch so lange warten müssen?«
    »Nein«, sagte ich, »ich bin mit Blok hingegangen. Er mußte von Wiesbaden heraufkommen, und er hatte eine Bescheinigung von seiner Schule dabei. Da haben sie gleich gestutzt und wollten wissen, warum er nicht bei seinen Eltern lebe. ›Zerrüttete Verhältnisse‹, hat er nur geantwortet und darum gebeten, nicht zu lange warten zu müssen, weil der Bus nach Wiesbaden bei dem Wetter große Verspätungen habe. Ich kam dann sofort nach ihm dran.«
    »Und ich mußte fast zwei Stunden warten. Die ganze Zeit hielt ich den Kram in Händen, die Bescheinigung über Vaters Kriegsverletzung, mein Attest wegen der Herzinsuffizienz, und als man mich hineinrief, waren die Papiere von meinen feuchten Fingern durchweicht. Ich stand da und dachte, verdammt, so nervös bist du also, und dann sollte ich pinkeln, gezielt in die Flasche, die sie mir mit aufs Klo gegeben hatten, und ich stand wieder da mit hochrotem Kopf, und nichts tat sich. Ich sah meinen Schwanz an, und ich dachte nur, er zieht sich immer weiter zurück, soweit bist du schon. Ich ging dann raus mit der leeren Flasche, und der Typ, der mich gewogen hatte und gemessen, schüttelte nur mit dem Kopf und sagte, ich müsse etwas trinken und draußen noch einmal warten.«
    »Und das hast du gemacht?«

    »Nein, ich bin raus und herumgelaufen, fast eine Stunde kreuz und quer durch den Schnee, und als ich zurückkam, hielt mich der Pförtner zum zweiten Mal an, und da dachte ich, jetzt ist es perfekt, jetzt haben sie dich. Und dann ging es sehr schnell, so, als beuge sich alles meinen verfluchten Gedanken. Ich pißte wie ein übermütiger Gaul in die Flasche, es sprudelte richtig vor lauter Gesundheit. Der Arzt

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