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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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aus der Nähe anschauen. Damit ich sehe, ob ich recht habe.«
    »Könnte auch eine Enttäuschung sein.«
    »Glaube ich nicht, der Text ist selbstbewußt, und die Selbstbewußten enttäuschen selten.«
    »Worauf warten wir noch?«
    »Langsam, wir haben doch Zeit. Willst du mitten in einen Regen warmer Zuschriften platzen? Einer unter vielen? Laß sie erst mal rumkommen und sortieren, dann schlägt deine Stunde.«
    »Dann ist es zu spät.«
    »Aber Männie! So wenig Selbstbewußtsein?«
    »Hast du die Adresse?«
    »Alles notiert.«
    Solche Gespräche versetzten ihn in Unruhe, er begann, sich abzulenken und kam doch später unweigerlich wieder auf sie zurück. Er merkte sich, was ich gesagt hatte, und versuchte, noch weitere Beobachtungen aus mir herauszuholen, aber
ich gab ihm immer klar zu verstehen, wenn ich es satt hatte. In der Abgeschiedenheit des Büros verstanden wir uns, doch draußen wirkte er zu hektisch auf mich. Er kannte viele Leute, doch er fühlte sich niemandem zugehörig. Von Lautner erhielt er nur ein geringes Entgelt für seine Arbeit, aber er beschwerte sich nie, sondern blieb beinahe lautlos im Hintergrund wie ein stiller Teilhaber, der nie genannt werden will.
     
    Nachts war ich nun allein, und dies war die einschneidendste von allen Veränderungen. Ich war durch Lautners Vermittlung an zwei Zimmer nahe der Fußgängerzone am Michelsberg gekommen, dazu gehörten Küche und Bad, die zum Hinterhof hinausgingen. Die Wohnung hatte einen kleinen Erker, von dem aus ich bis zum Landtag schauen konnte, und sie lag hoch oben, im vierten Stock, so daß ich dem Geschehen unten entrückt genug war, um es wie ein Spektakel betrachten zu können. Tagsüber waren die vorderen Räume von der Sonne erhellt, sie wanderte langsam um meinen Aussichtspunkt herum, und ich saß oft am frühen Abend in dem dreifenstrigen Vorbau und erlebte den Anbruch der Dämmerung.
     
    Nachts jedoch, wenn ich meist erst weit nach Mitternacht in die Wohnung zurückkehrte, schauderte es mich. Ich kam nicht zur Ruhe, setzte mich in den Erker und trank weiter, als könnte ich so die nötige Müdigkeit finden. Ich wechselte in das andere Zimmer, in dem meine Liege stand, zog mich langsam aus und streckte mich auf das zerwühlte Bett. Ich lag mit offenen Augen und horchte auf jedes Geräusch. An den Wochenenden waren noch vereinzelt Motorräder zu hören, sonst aber war es meist aufdringlich still. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß ich mich so schwer tun würde, allein
einzuschlafen. Die Anwesenheit der Familie hatte trotz aller Meinungsverschiedenheiten etwas Begütigendes gehabt, zum Schlafen hatte man sich vor den anderen verkrochen, gleichwohl gewiß, den Kontakt nur für Stunden zu unterbrechen. Ich merkte, daß ich mit und vor den Augen der anderen gelebt hatte, und eben diese Augen fehlten mir plötzlich, ohne daß ich es gern zugegeben hätte.
    Ich schaute gegen die Decke, und immer wieder liefen die letzten Monate rasch vor mir ab, abrupte Szenen mit leicht schmerzhaften Widerhaken. Ich wurde noch immer zur Schule gefahren, wie ich seit Jahren gefahren worden war, und ich lauschte auf Sarahs Gemurmel, die sich einen auswendig zu lernenden Text vergegenwärtigte. Diese unnötigen Wiederholungen waren schwer zu ertragen, in ihnen waren die alten Belastungen aufgehoben, von denen ich angenommen hatte, sie seien für ewige Zeit von meinen Schultern genommen. Ich hatte das Abitur problemlos hinter mich gebracht, ja im Gegenteil, noch nie hatte ich, ohne mich sonderlich anzustrengen, so gute Leistungen erzielt. Die Aufgaben für die schriftlichen Arbeiten waren von provozierender Schlichtheit gewesen, man hatte uns den Abschied so leicht wie nur möglich machen wollen. Nur die bei solchen Anlässen unverbesserlich Nervösen hatten versagt, ich gehörte nicht zu ihnen, denn ich hatte mir erst gar nicht vorgemacht, Herausragendes leisten zu müssen. So hatte ich, was die Noten betraf, einen Sprung nach vorne getan, doch es kümmerte mich nicht, hatte ich doch geglaubt, in Gedanken dem allem längst fern zu sein.
    Ich schwitzte in diesen aufputschenden Sommernächten auf meinem Lager, es war mein altes Bett, doch ich hatte es aus seiner Verankerung gerissen, und nun drehte es sich im
Kreis. Ja, es schien sich zu bewegen, und diese synkopierten Rhythmen ließen die alten Bilder immer wieder aufsteigen, die Bilder vom Schneetreiben, die beinahe wohltuenden Bilder von der beschränkenden Einsamkeit in den schmalen Tälern des Hunsrücks,

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