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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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meistens zu spät, die trunkene Post rollte bereits, immer knapp am Entgleisen entlang. Wir machten uns rechtzeitig aus dem Staub, sowieso stand uns der Sinn jetzt nach Jazz, nach einem fingerfertigen, klärenden Jazz, mit schmeichelnd warmen chromatischen Schritten, und den gab’s bis morgens um fünf Bei Oleg & Bert. Die beiden Besitzer waren ehemalige Entertainer von umstrittenem Format, sie wechselten sich Nacht für Nacht in der Thekenherrschaft ab und trugen beide schwarz-grau gestreifte Westen, aus denen die Hemdärmel wie gut durchzupfte weiße Flügel herausquollen. Ihre Piano-Bar hielt korrekt, was ein solches Etikett versprach; es war ein düster verplüschtes Etablissement, mit rot getönten Lämpchen, zentimeterdicken Teppichen und Gläsern aus Kristall, die schwer in der Hand lagen und an die man mit Brillantringen klopfte. An Speisen wurden nur Toasts geboten, zwei knochentrockene, angekohlte Scheiben mit triefendem Speck und einer bläschenwerfenden
Käseschicht, doch aus unerfindlichen Gründen wurde gerade dieser fast rüpelhaft zugerichtete Ballast von vielen Gästen geschätzt. Es herrschte eine lockere Club-Atmosphäre, als wären die Gäste zu Besuch bei guten Bekannten, man unterhielt sich leise, diskret und vermied jede Berührung von gewichtigeren Themen.
    Die heimliche Attraktion in den dämmrigen Zimmern, von denen man gerne behauptete, sie hätten einmal bessere Zeiten gesehen, war jedoch Knobel, ein älterer, erfahrener Salonpianist, der in abgetragenen, grauen Anzügen, mit leicht schief geneigtem Kopf und der Miene eines längst Verdrossenen nur spielte, wonach ihm zumut war. Er benahm sich, als seien die Gäste fade Figuren, deren Wünsche bedauernswerte Mißgriffe darstellten, und beantwortete die Fragen von Uneingeweihten, welchen Drink er spendiert haben wolle, nur mit einem knappen, unmißverständlich anschwellenden Forte. Knobel war eine wahrhaft elitäre Erscheinung, schon daß er beobachtet werden konnte, schien ihn zu schmerzen; er besaß eine zur Manie gewordene Hybris, und er begegnete diesem bei schwachen Naturen leicht ausartenden Zug mit dem zur Komik neigenden Ernst jedes wahrhaft Elitären. Er spielte Stücke von Schubert und Brahms nach knappen, Abneigung andeutenden Ansagen wie von Franz oder von Johannes aus Hamburg und konnte, gerade wenn die Melodien sich einzuprägen begannen, in einen beleidigenden Ragtime wechseln. Es war nicht zu entscheiden, ob er aller Musik überdrüssig oder so eins mit ihr war, daß sie sein Befinden verriet. Auf den ersten Blick erschien er zerfahren und schludrig, doch nach seinen ersten Anschlägen wußte jeder, hier triumphierte die List. Sein Spiel war völlig unverkrampft und doch nicht mondän, Knobel schien alle musikalischen Regionen gleichzeitig
so lange durchlaufen zu haben, bis ihre Ebenbürtigkeit ihnen etwas Lasterhaftes verliehen hatte. Er war ein erschrekkend bleiches, ausdruckslos gewordenes Phantom, eine bestechend klimpernde Hülle aus dünner, faltiger Haut ohne jedes Gebaren.
    Wir saßen ihm oft auf einem Sofa, das bei jeder heftigeren Bewegung ins Schwanken geriet, gegenüber und behielten ihn während unserer Gespräche im Auge. Durch Knobels Spiel kam man vollends zur Ruhe, und wir machten uns erst auf den Weg, wenn er den Flügel verschlossen hatte und einer der Besitzer zum Rausschmiß die Ukulele auspackte.
     
    Ich fuhr in diesen Monaten selten nach Haus. Die Stimmung in dem kleinen Reihenhaus erschien mir noch bedrückender als während der Schulzeit, denn ich konnte mich nicht mehr unter Vorwänden davonmachen oder durch Ausreden schützen. Vater hatte zwei leichte Unfälle gebaut, beide beim Ausfahren aus Parklücken. Er schien an Substanz zu verlieren und bekam das Aussehen eines aufgeriebenen BKA -Fahnders, der seine Aufträge nur noch von ihm früher untergebenen V-Männern erhielt. Das jahrelange, erbärmliche Stochern in Prozeßakten hatte ihm jeden Glauben an überschaubare Verhältnisse genommen, und er versuchte, diese übertriebene Reaktion mit Gebärden eines abgrundtiefen Lebensekels zu adeln, die ich als Entschuldigungen nicht gelten ließ. Seit ich das Elternhaus verlassen hatte, begegnete er mir mit einer gewissen Scheu, als wage er mich nicht nach meinem Leben zu fragen. Gerade dadurch aber fühlte ich mich zu einigen Andeutungen gezwungen, die meist nur in hilflosem, entwürdigendem Gestammel endeten. Vaters enttäuscht wirkender Blick schaffte es leicht, selbst einfachen Erklärungen den

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