Agenten - Roman
studieren.
Wir hatten uns während meiner Besuche in dieser Zeit besser verstanden als früher, die Fremdheit zu Hause schuf hier eigene Bande, und ich hatte ihr den Wunsch, fürs Erste in meine Wohnung zu ziehen, nicht abschlagen können. Sie hatte eine Zeitlang nach etwas Passendem gesucht, sie wollte allein sein, Wohngemeinschaften waren nicht denkbar, doch die Eltern zeigten sich geizig und unterstützten sie nur mit einem niedrig gehaltenen Betrag. Sie hatte vor, in den Ferien bei Boehringer zu arbeiten und sich das notwendige Geld zu verdienen, ein halbes Jahr brauchte sie mich, und ich konnte soviel Intelligenz nicht zurückweisen. Immerhin hatte sie ihr Ziel klar vor Augen, sie war auf einem guten Weg, und ich war der Letzte, der in rasante Tempi Verzögerungen einbaute.
So räumten wir die Wohnung um, ich brachte meine Utensilien in meinem Arbeitszimmer unter und überließ ihr den anderen Raum. Ich nahm an, sie werde leben wie bisher, konzentriert, spurenlos, nur dem folgend, was ihren Wissensdurst nährte. Wir schlossen einen Pakt, genaue Absprachen und nur auf Zeit. Ich versprach, ihr Zimmer nicht zu betreten, und sie wollte mich in Ruhe lassen, mit dem Versprechen, keinen Anstoß zu nehmen, wenn es nachts einmal laut herging. Von ihr war ein Leben mit Ausschweifungen nicht zu erwarten, ich aber brauchte manchmal lange Nächte und die volle Stärke guter Musik.
Sie zog bei mir ein, an einem Nachmittag war alles gelaufen, und ich lud sie ein zu einem Glas Wein, das erste Mal saß
ich so mit meiner Schwester zusammen. Ich brauchte ihr von meiner Arbeit und den laufenden Geschichten nichts zu erzählen, dafür hatte sie keinen Verstand; wir streiften durch die Stadt, sie ging beiseite, wenn ich irgendwo angeredet wurde, und am späten Abend mixte uns Blok einen Cocktail, den sie rasch trank, als müsse sie uns beiden etwas beweisen.
Ich war ihr gegenüber bedenkenlos nachgiebig geworden,und ich ahnte, woher das rührte. In meinem Kopf spukte noch eine Nacht, und dieser Nacht fehlte der Tag. Wo war Linda? Wich sie mir aus? Versteckte sie sich? Gab es einen Grund, sich zu verbergen? Ich hatte ihr Nachrichten zukommen lassen, ich hatte sie angerufen, mehrmals, ohne Erfolg. Ich war an den Abenden von einem Lokal ins andere gelaufen, immerzu von der Hoffnung getrieben, auf sie zu stoßen. Welche Erklärung gab es für ihr Verhalten? Bildete ich mir am Ende zuviel ein? Hatte diese Nacht nichts zu bedeuten? Mich hielt es kaum noch lange an einem Fleck; sobald ich mir sicher war, daß nichts ihr Kommen verhieß, wechselte ich den Standort. Ich studierte den Theaterplan und kreuzte mir die Aufführungen an, in denen sie mitwirkte. Einmal hatte ich ihr Blumen geschickt, doch auch darauf hatte sie nicht reagiert. Ich hatte es auf mich genommen, Das Leben ein Traum noch einmal zu sehen, sie hatte recht gehabt, das Spiel wirkte jetzt nicht mehr so verstaubt, aber nach der Aufführung war ich nicht bis zu ihr vorgedrungen, und eine Garderobiere hatte sie schnoddrig entschuldigt, Frau Francis empfängt nicht, sie hat es eilig, sie schminkt nicht mal ab. Ich hatte am Personalausgang gelauert, zweimal in unwürdiger Weise, doch auch hier hatte ich sie nicht zu Gesicht bekommen. Was hatte ich falsch gemacht? War mein Verhalten zu aufdringlich? Mir selbst kam es oft so vor, im Stillen schämte ich mich dieser Bemühungen
wegen, ich redete mir ein, alles sei diesen Aufwand nicht wert. Aber hatte ich nicht doch ein Recht auf eine Erklärung? Andererseits gab es nur diesen Kuß, einen Moment einverständigen Daseins, vielleicht in ihren Augen ein Nichts, ein Funke, den man besser erstickte? Gut, ja, ich hätte es womöglich verstanden, einige Worte hätten mich ruhig gestimmt, doch diese Deutungen forderte ich, um der Sache ein Ende zu machen. Warum ließ sie mich so zurück? Ich konnte mich mit niemand bereden, Blok hatte mich mehrmals danach gefragt, in peinlicher Weise, eindringlich, als sei es nötig, mir Hilfestellung zu leisten. Ich hatte mich entzogen, kein Zuhörer war für diese Geschichte geschaffen, sie hing mit fatalen Illusionen zusammen, mit schwachen Träumereien von einem Leben, ja, von einem Leben zu zweit. Nun war es heraus, darum drehten sich all meine Ideen, und es war eine Pein, so ohne Antwort zu bleiben. Früher hatte ich nie solche Phantasien gehegt, ich hatte den eng verbundenen, miteinander lebenden Paaren nie wirklich getraut, doch in diesem Fall war es anders, denn ich hatte von Anfang an
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