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Agrarwende jetzt

Titel: Agrarwende jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Alt , Brigitte Alt
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tröstet der andere Planet sie.
    Dieser Scherz kennzeichnet unsere heutige Lage. Wir nennen uns selbst »Homo sapiens, sapiens«, der doppelt weise Mensch, obwohl wir wissen, dass wir durch unsere Gene zu 98,4 Prozent Schimpansen sind.
    Unsere Fähigkeit zur Selbstreflexion könnte uns tatsächlich ziemlich einzigartig machen, aber wir nutzen diese kaum. Selbstreflexion und Selbsterkenntnis sind jedenfalls vonnöten, um die Rechte der Natur und unsere Vernetzung mit ihr zu verstehen und zu respektieren. Der Ökophilosoph Carl Amery erkannte: »Der Mensch kann die Krone der Schöpfung nur bleiben, wenn er weiß, dass er sie nicht ist.« Für diese notwendige anthropologische Umkehr ist die Agrarwende wesentlich.
    Worum es dabei geht, erlebte ich bei den Recherchearbeiten zu meinem ARD-Film »Biofleisch statt Rinderwahn - Neue Wege in die Landwirtschaft«. Joachim Bauck, der Chef der Bauckhöfe bei Lüneburg, hatte mir seinen Demeterhof gezeigt. Der moderne landwirtschaftliche Unternehmer bewirtschaftet in der dritten Generation 350 Hektar nach den Prinzipien des biologisch-dynamischen Landbaus. Zu den Demeterrichtlinien gehört auch, dass behinderte Menschen auf dem Hof leben und arbeiten. Auf den Bauckhöfen sind es 26 der insgesamt 100 Arbeitskräfte.
    Landschaftspflege und Naturschutz sind hier Herzensangelegenheit. Die Produkte werden sowohl direkt im Hofladen, als auch über eine große Vertriebsorganisation in Naturkostläden verkauft. Der eigentliche Reichtum liegt in der Qualität der Arbeit und in der Schönheit der Landschaftsgestaltung. Dieser zukunftsfähige Betrieb kombiniert Lebensmittelproduktion plus Gastronomie plus Tourismus.
    Am Schluss seiner Erklärungen wollte mir der stolze Chef des Demeterhofes noch etwas Besonderes zeigen. Er nahm zwei Hände voller Erde und erklärte mir, dass sich in diesem Augenblick in seinen Händen mehr Lebewesen befänden als auf unserem gesamten Planeten Menschen leben. Mehr als sechs Milliarden Winzlinge also. In diesen zwei Händen Erde wimmelte und krabbelte es. Ein scheinbar harmloser und belangloser Augenblick, der unvergessen ist. Inzwischen habe ich gelernt, dass in einem Kilogramm fruchtbarer Muttererde 250 Millionen Bakterien, 700 Milliarden Strahlenpilze, 400 Milliarden Pilze, 50 Milliarden Algen und 30 Milliarden Protozoen, also einzellige Lebewesen und mehrere Regenwürmer leben und arbeiten.
    Fruchtbarer Mutterboden ist durchwurzelt, durchlüftet und bevölkert von mehr Leben, als das menschliche Auge oder Hirn fassen kann.

3. Schwester Sonne - Bruder Mond
    Wer Ökolandbau nicht als romantische Schwärmerei versteht, sondern als die Landwirtschaftsform der Zukunft, findet im 800 Jahre alten Sonnengesang Franz von Assisis das Grundgesetz für die real anstehende Agrarwende:
    »…Sei gelobt, mein Herr, mit all Deinen Kreaturen, besonders mit der hohen Frau, unserer Schwester Sonne, die den Tag macht und mit ihrem Licht uns leuchtet. Schön in der Höhe und strahlend im mächtigen Glanz, ist sie Dein Sinnbild, Du Herrlicher!
     
    ...Sei gelobt, mein Herr, durch Bruder Mond und die Sterne. Du hast sie am Himmel geformt in köstlich funkelnder Ferne!
     
    ...Sei gelobt, mein Herr, durch Bruder Wind, durch Luft und Gewölk und heiteres und jegliches Wetter. Alle Kreaturen belebst Du durch sie!
     
    ...Sei gelobt, mein Herr, durch Schwester Wasser. Sie ist so nützlich, gering, köstlich und keusch.
     
    ...Sei gelobt, mein Herr, durch Bruder Feuer. Er erleuchtet das Dunkel, kühn ist sein Sprühen, heiter ist es, schön und gewaltig stark.
     
    ...Sei gelobt, mein Herr, durch unsere Schwester Mutter Erde. Sie versorgt uns und nährt uns und zeitigt allerlei Früchte, farbige Blumen und Gras.«
    Fruchtbarer Boden ist überlebenswichtig. Umfragen zu Umwelt-Themen zeigen, dass heute die meisten Menschen, auch viele Bauern, kein »Bodenbewusstsein« mehr haben. Das hängt in Industriegesellschaften sicherlich damit zusammen, dass wir Boden in seiner ursprünglichen Form kaum noch wahrnehmen, sehen, fühlen, betasten, oder gar barfuß betreten. Der Boden aber, die »Mutter Erde«, ist die buchstäbliche Grundlage unserer Existenz.
     
    Ökologisches Landwirtschaften ist zunächst einmal bedingungsloses Vertrauen in die Kräfte der Schöpfung, in die Wirkkräfte der Natur, auf Schwester Sonne und Bruder Mond, auf Bruder Wind und Schwester Wasser, auf Bruder Feuer und Schwester Mutter Erde. Bedeutet das nicht »Zurück zur Natur« à la Rousseau? Kann das überhaupt

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