Agrippina - Kaiserin von Rom
Wand des Stalles entlang, um nicht auszugleiten. Gegen den scharfen Ostwind mag das Fuchsfell ein wenig helfen, das sich der Alte um den Hals gebundenhat. Dennoch friert er erbärmlich und verflucht den frühen Wintereinbruch in Germanien.
»Vernicia! Vernicia, du verdammtes Luder! Wirst du wohl mit dem Holz kommen, oder soll ich mir in dieser Kälte den Tod holen?« So kräftig, wie es seine ausgemergelten Hände zulassen, schlägt Vindurix gegen die dünne Wand des Stalles. Wenig später künden huschende Schritte von der Ankunft der Gerufenen. Ein schmächtiges Mädchen mit kurzen nussbraunen Haaren kommt aus dem Stall, die dünnen Arme voller Holz. Verängstigt versucht sie, an den Händen des geifernden Alten vorbeizukommen, und dennoch schlägt ihr der Greis ohne Erbarmen ins Gesicht. Doch kein Schrei kommt über ihre Lippen, kein Schmerzenslaut entwindet sich der gequälten Gestalt. Das Mädchen gibt lediglich ein zusammenhangloses Stammeln von sich, ein Stammeln, wie es nur ein Mensch zustande bringt, dem unselige Hände die Zunge herausgerissen haben! Die Holzscheite entgleiten den klammen Händen und fallen in den Schnee.
»Du Schlampe, sieh nur, was du angerichtet hast. Jetzt ist es nass, wie soll es da brennen?«
Eine weitere Ohrfeige begleitet das Zetern des Alten. Ängstlich bückt sich Vernicia und liest das Holz mit fliegenden Händen auf. So schnell es geht, läuft sie in die Gaststube des ehemaligen Gasthauses und legt Holz nach für den verschmutzten Kamin. Zischend und dampfend nimmt das Feuer den Nachschub auf. Eilig humpelt der Alte hinterher.
»Jetzt bring mir Cervisia , du unnützes Ding, und dann verzieh dich in deine Kammer!«
Ein lautloser Seufzer der Erleichterung entringt sich der Brust des Mädchens. Immerhin muss sie dem Greis heute nicht zu Willen sein. Das ist gut, sehr gut, alles andere ist erträglich. Sie hat sich daran gewöhnt, dass der Alte sie schlägt, sie beleidigt oder ihr die schönen langen Haare abschneidet. Wenn er aber mit seinen schmutzigen Fingern in greisenhafter Lüsternheit nach der jungen Sklavin greift und sie auf seine stinkende Strohmatte zieht, dann ...
Mit Schaudern wendet sich Vernicia ab. Eilfertig bringt sie den Krug mit dem schalen, gallischen Bier, um dann lautlos in ihrer trostlosen Schlafkammer zu verschwinden. Wenig später drehtsich der Schlüssel in dem rostigen Schloss. Der Alte hat sie – wie immer – eingeschlossen.
»Damit du nicht abhaust, mein kleines Täubchen«, murmelt er aus zahnlosem Mund und humpelt zurück ans wärmende Feuer. Ächzend lässt er sich auf einem wackligen Holzstuhl nieder. Seine Blicke schweifen an den verrußten Wänden entlang, streifen die alten Bärenfelle, die dem Gasthof einst den Namen gaben. Daneben hängen Schwerter, blind vor Rost, wurmstichige Schilder, uralte Lanzen. Mit denen hat sein Vater einst gegen den mächtigen Cäsar am Arar gekämpft, als sein Stamm der Tiguriner von den Römern mitten in der Flussüberquerung überrascht wurde.
Während er in kleinen Schlucken sein Bier trinkt, wandern die Blicke des Alten an den Wänden entlang. Ein bösartiges Grinsen entstellt das hässliche Gesicht. Zum Hades mit den Römern! Spielen sich in seinem Land auf wie die Herren. Unter dem neuen Kaiser ist alles geblieben, wie es war. Steuern, Abgaben, Truppenabstellungen, man ist nicht mehr Herr im eigenen Lande. Eher schlimmer ist es geworden. Aber man wird sehen. Das junge Herrchen soll sich nur nicht zu sicher sein.
Ein plötzlicher Windzug streift seine stoppelige Wange, bläst Unruhe in die tanzenden Flammen des Feuers. »Ist da wer? Was ist denn ...?«
Aber Vindurix kommt nicht mehr dazu, sich herumzudrehen. Kräftige Hände legen sich plötzlich von hinten um seinen dürren Hals, schieben das Fuchsfell zur Seite. Ein raues Krächzen, die Beine zappeln ein letztes Mal im Todeskampf. Dann ist es vorbei. Weit aufgerissen starren die glanzlosen Augen zur Decke, schlaff liegt der ausgemergelte Körper auf dem rohen Holzboden.
In aller Ruhe bückt sich die Gestalt und betrachtet ihr Werk. Dann nimmt sie ein kurzes Messer, die Sica, aus der Manteltasche und krönt das blutige Werk. Ein letzter Blick in den verlassenen Gastraum, dann stapft die dick vermummte Gestalt zurück durch den Schnee zu ihrem Pferd, das mit dampfenden Nüstern auf seinen Besitzer wartet.
***
Januar des Jahres 59 n.Chr.
Wie mit weißem Puder bestreut lag die Ubierstadt unter Schnee und Eis. An einen so harten Winter konnten sich
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