Agrippina - Kaiserin von Rom
dazu.
Das reichte Valerius. Er holte kurz aus, und eine krachende Rechte landete zwischen den Augen des Zuhälters. Wie tot sank der Mann zu Boden, während im Hintergrund die Dirne kreischte, als habe soeben der Weltuntergang begonnen. Ungerührt sahen die Passanten zu und gingen ihrer Wege, und auch Valerius konnte ohne weitere Belästigung seinen Weg fortsetzen.
Er war nun am Ende des Argiletum angekommen und hatte das Forum Romanum erreicht, das jeder wahre Römer für den Mittelpunkt der Welt hält. Hier wurde es spürbar ruhiger, und die Qualität der zur Schau getragenen Roben wurde deutlich besser. Fürs Erste habe ich genug gesehen, dachte er. Rom hat sich auch unter dem neuen Kaiser nicht verändert. Seufzend dachte er an die kleine Ubierstadt zurück, die Stadt an dem mächtigen Strom, die so viel mehr Ruhe und Sauberkeit ausstrahlte als Rom. Und seine Gedanken wanderten zu Dirana zurück, seiner schönen Dirana. Sie war nicht begeistert gewesen, als er ihr davon berichten musste, dass ihn ein geheimer Auftrag in die Hauptstadt führte. Aber sie wusste auch, dass Jammern und Klagen nicht halfen, und hatte ihm den Abschied nicht unnötig erschwert. Lange hatte sie mit dem kleinen Titus Valerius vor dem Haus gestanden und ihm nachgewunken.
***
Am nächsten Morgen präsentierte sich Rom wieder einmal von seiner schönsten Seite. Ein ergiebiger Nachtregen hatte sämtlichen Schmutz von den Straßen gefegt, und nun lag Rom unter einem wolkenklaren Himmel im strahlenden Sonnenschein. Schon früh war Valerius vom Geschrei der Bäcker geweckt worden, die ihre frischenWaren ausriefen. Das war deutlich zu hören, auch wenn das Fenster seines Zimmers zum Hinterhof zeigte. Die während der Nacht durch die Gassen rumpelnden Karren hingegen hatten ihn nicht gestört.
Es war Zeit, Agrippina seine Aufwartung zu machen! Wie er wusste, wohnte sie nicht mehr im kaiserlichen Palast, sondern im ehemaligen Haus der Antonia, einer prachtvollen Residenz am Marsfeld. Hier hatte einst Antonia Hof gehalten, die Großmutter der Agrippina, Tochter des Marcus Antonius und Nichte des großen Augustus, Mutter des beliebten und zu früh verstorbenen Germanicus sowie des späteren Kaisers Claudius.
Valerius kannte das Haus gut. In seiner Zeit als Prätorianertribun hatten ihn verschiedene Aufgaben hierher geführt. Am nördlichen Rande des Marsfeldes gelegen, war es eines der schönsten herrschaftlichen Häuser, die das kaiserliche Rom zu bieten hatte. Aber als Valerius sich dem Anwesen näherte, sah er überdeutlich die Zeichen der Veränderungen. Die riesigen parkähnlichen Gartenanlagen waren ungepflegt, das Laub des letzten Herbstes lag auf Wiesen und Wegen, die Brunnen waren verschmutzt, die Bäume nicht gestutzt. Auch vermisste Valerius eine Wache, wie sie der Mutter des Kaisers wohl zugestanden hätte.
Auf sein Klopfen an der portalähnlichen Tür öffnete ein junger Sklave in einer abgetragenen Tunica.
»Ja, Herr?«
»Ich möchte die Herrin Agrippina sprechen.«
»Und wen darf ich der Herrin melden?«
»Sag ihr, Decimus Batistus aus Narbo wünsche sie in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen.«
»Decimus Batistus aus Narbo?«
Der Sklave verzog das schöne Gesicht zu einem leicht verächtlichen Grinsen, öffnete aber bereitwillig die Tür und ließ Valerius in das riesige Atrium eintreten. Auch hier waren erste Zeichen des Verfalls unübersehbar, wenn auch nicht so ausgeprägt wie in den Außenanlagen. An einigen Stellen löste sich der Farbanstrich von den Wänden, der Springbrunnen sprudelte nicht und in der Ecke lag sogar eine zerbrochene Marmorbank.
Unbemerkt war ein Mann eingetreten und musterte den Ankömmling neugierig.
» Salve «, sagte er schlicht. »Ich bin Creperius Gallus, der Privatsekretär der edlen Agrippina. Mit wem habe ich die Ehre?«
Wie viele Freigelassene bediente auch er sich einer gespreizten Sprache, die in merkwürdigem Kontrast zu seiner groben, fast plump zu nennenden Erscheinung stand. Über seinem mächtigen Bauch spannte sich eine zerschlissene weiße Toga , die ohne Zweifel bessere Zeiten gesehen hatte. Das schüttere braune Haar lag wie ein Kranz um den mächtigen Schädel, aus dem zwei kleine listige Augen ständig zwinkernd blickten. Den Mann hatte er noch nie gesehen, der Name aber klang vertraut. Crepereius war es gewesen, der ihm im Auftrag Agrippinas den Brief geschrieben hatte, der ihn aus Germanien nach Rom rief. Valerius beschloss, seine Tarnung aufzugeben. Hier konnte
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