Agrippina - Kaiserin von Rom
meinem Zimmer. Im Reisesack befinden sich lediglich etwas Wäsche, ein Dolch und sonstige Kleinigkeiten. Meine Diploma , meinen Urlaubsschein und meinen Geldbeutel habe ich – den Göttern sei Dank! – mitgenommen. Lass uns gehen!«
Horatius strahlte über das ganze Gesicht. »Ist es nicht wunderbar, wie Fortuna die Dinge manchmal fügt? Es war mein dringenderWunsch, dich in meinem bescheidenen Haus als Gast begrüßen zu können, und schon ist es geschehen.« Mit wichtiger Miene ergänzte er: »Ein Spross aus der edlen Gens Valeriana war noch nie zu Gast in meinem Hause. Wie ergeht es eigentlich deinem Onkel Marcus Valerius Messala, nachdem er sein Amt niedergelegt hat? Immerhin war er Neros Amtsgenosse im Consulat.«
»Ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen«, antwortete Valerius ausweichend, »und er ist auch nicht mein Onkel, er wurde vielmehr von meinem Onkel vor Jahren adoptiert. Zwischen seiner Familie und der meinen gibt es kaum Kontakte.«
»So so ... Nun, wie auch immer, eine Ehre bleibt es für mich doch, und ein unbekannter Dunkelmann, der vor deiner Tür stand, hat mir dazu verholfen.« Er stieß Valerius in die Seite. »Vielleicht hat er ja nur auf sein Mädchen gewartet?«
Valerius machte sich seine eigenen Gedanken über den Dunkelmann, schwieg aber.
Eilig strebten die Männer durch die nachtdunklen Gassen der Stadt zum Vicus Longus, der sie geradewegs zum Collis Quirinalis brachte. Sie begegneten nur wenigen Nachtschwärmern oder vereinzelt einer Sänfte, die von Fackel tragenden Sklaven begleitet wurde. Zur Linken schirmte sie die fast neunzig Fuß hohe Brandmauer ab, die das Augustusforum gegen Brände in der Subura absichern sollte. An der großen Wasserstelle Lacus Fundani vorbei machte die Straße eine scharfe Biegung nach rechts und mündete in die Alta Semita. Sie waren am Ziel!
Valerius war die Gegend hier im höchsten Maße vertraut: Die Castra Praetoria , seine alte Kaserne, lag kaum zehn Minuten entfernt.
VIII.
Ein Unfall in Colonia
Endlich hat sich der Nebel über der Ubierstadt am Rhein verzogen, und eine klare Wintersonne schickt ihre wärmenden Strahlen über die schneebedeckten Felder. Eingepackt in ihre dicksten Mäntel gehen die Menschen ihren Geschäften nach und erfüllen die Straßen und Gassen mit Leben.
Auch jetzt im Winter ruht die Bautätigkeit nicht. Im nordwestlichen Bezirk der Stadt erhält die Stadtmauer ihren letzten Schliff. Zehn Fuß hoch ist sie nun, drei Fuß tief und aus massiven Steinquadern gefügt, auf festem Fundament. Das verleiht ihren Einwohnern das Gefühl der Sicherheit und schreckt die Barbaren ab. Die Arbeiter beginnen, das Gerüst abzubauen. Singend und lärmend tun sie ihre Arbeit. Sie kümmern sich nicht um die Leute, die neugierig stehen geblieben sind, den Fortgang der Arbeiten beobachten und fachkundig kommentieren. Es gibt hier so viele, die nichts zu tun haben und für die Bauarbeiten solcher Art schon ein interessantes Ereignis sind, dem man gerne beiwohnt. Ebenso wenig achten sie auf den baumlangen Mann, der fast unter der Mauer steht und die Arbeiten mit kritischem Blick verfolgt.
Der baumlange Mann ist Faustus Celerinus, der Quaestor von Colonia Claudia Ara Agrippinensium . Zu seinen Aufgaben gehört die Überwachung der Bauarbeiten. Denn es ist öffentliches Geld, das hier verbaut wird, und nicht zu wenig. Faustus Celerinus seufzt und zählt in Gedanken das Stadtsäckel durch. Das alles hier kostet und kostet, und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Die Mauer im südlichen Bereich, rings um die Porta Iova , ist gerade einmal halb fertig, und der strenge Winter erschwert das Bauen – und verteuert es. Denn es sind nur zum Teil Stadtsklaven, die hier eingesetzt werden. Die anderen sind Tagelöhner, und die wissen genau, was hier zu verdienen ist. Vier Sesterzen will ein Operarius pro Tag schon haben, dazu die Verpflegung, Brot und Wein, hin und wieder ein Stück Fleisch – das kostet.
Aber das sind nicht die einzigen Sorgen, die der Quaestor hat. In den letzten Tagen hat sich die Zahl der Sorgenfalten in seinem asketischen Gesicht explosionsartig vermehrt. Auch er steht nun schon seit langem in den Diensten Agrippinas, ist einer ihrer geheimen Agenten in der Ubierstadt und hat vom Curator den Auftrag erhalten, die rätselhaften Mordfälle aufzuklären, denen zuletzt der ehemalige Aedil Publius Statilius Taurus zum Opfer gefallen ist.
»Solange der Tribun Marcus Valerius Aviola auf Urlaub ist«, so hatte Gaius Volturcius Crassus
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