Agrippina - Kaiserin von Rom
gehasst sein von jedermann um meines Namens willen.
Aber seht, ich werde euch trösten in der Not und lindern eure
Tränen, und kein Haar von eurem Haupt soll euch gekrümmt
werden.‹«
Das lange Sprechen hatte den Alten sichtbar erschöpft, und er machte eine kurze Pause, in der er etwas Wasser zu sich nahm. Valerius nutzte die Pause, um sich unter den Zuhörern umzusehen. Der von einigen Fackeln spärlich erhellte Raum war bis auf den letzten Platz besetzt, alle standen und hingen gebannt an den Lippen ihres Führers. Männer und Frauen waren gleichmäßig vertreten, und auch viele Kinder und Jugendliche konnte er in der Menge ausmachen. Die meisten Menschen schienen ärmerer Herkunftzu sein, denn die Kleidung war meist einfach, und viele der abgehärmten Gesichter kannten die Not des Alltags. Sicher waren auch etliche Sklaven darunter, denn hier und dort blitzte der Halsring eines Sklaven auf. Dazwischen fanden sich aber auch Menschen höheren Standes, und in der linken Ecke meinte Valerius gar den roten Streifen einer senatorischen Toga auszumachen. Er wollte gerade bei Horatius nachfragen, als Petrus seine Rede fortsetzte:
»Soweit die Worte unseres Herrn. Wie ihr wisst, ist unser lieber
Marcus bemüht, alle Worte unseres Herrn niederzuschreiben,
auf dass ein jeder sie nachlesen kann. Er hat sein Werk schon
begonnen, und Gott gebe ihm die Kraft, es zu Ende zu bringen.
Niemand weiß, wie viel Zeit ihm und uns noch bleiben wird.
Denn die Worte, die ihr eben gehört habt, sie werden auch für uns
gelten. Auch uns stehen Verfolgung, Qual und Tod bevor, aber
unser Herr wird uns die Kraft geben, all das auszuhalten.
Wann das sein wird, wissen wir nicht. Wir wissen nicht den Tag
und nicht die Stunde. Und deshalb sage ich euch zum Abschied:
Seid bereit, damit ihr nicht wie die törichten Jungfrauen kein Öl
für eure Lampen habt, wenn der Herr erscheint.«
Wieder machte er eine kurze Pause.
»Und so wollen wir zum Abschied das Gebet sprechen, das Jesus
Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, uns persönlich gegeben
hat und aus dem wir schon so viel Gnade erhalten haben.«
Und wie auf ein Kommando fielen alle Versammelten in ein Gebet ein, das Valerius noch nie gehört hatte. Er würde es aber auch nie mehr vergessen, so stark waren die Worte und so groß die Inbrunst, mit der sie gesprochen wurden:
Vater unser im Himmel,
geheiligt sei dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute,
und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern,
und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von allem Bösen.
Amen
Nach dem Gebet setzten sich die Menschen zu einem gemeinsamen Mahl nieder und waren bald in fröhliches Geschwätz vertieft.
»Komm, ich stelle dich Petrus vor.« Die Wangen von Horatius glühten vor Aufregung. Gerne ließ sich Valerius am Arm in Richtung des Mannes ziehen, der so viele kraftvolle Worte für den Kreis seiner Anhänger gefunden hatte. Sie mussten einen Augenblick warten, bis sie sich durch die Menge zu Petrus vordrängen konnten, dessen Tisch dicht umlagert war.
»Verehrter Petrus, das ist mein Freund Marcus Valerius Aviola. Er wohnt zur Zeit nicht in Rom, sondern in Germanien, in einer kleinen Stadt namens Colonia Claudia ... , wie hieß sie doch gleich? Ich kann mir diesen langen Namen einfach nicht merken.«
» Colonia Claudia Ara Agrippinensium «, ergänzte Valerius einmal mehr.
»Richtig, so heißt sie. Valerius hat dort den Maternus getroffen.«
»Maternus?« Über die derben, aber gütigen Züge des kräftigen Mannes huschte ein feines Lächeln. »Sei willkommen in unserem Kreise, Valerius. Hast du auch schon die frohe Botschaft vernommen?«
»Du meinst die Dinge, die man sich von eurem Herrn Jesus Christus erzählt?«
»So könnte man es auch nennen.«
»Maternus hat mir einiges davon erzählt. Er steht der kleinen Gemeinde in unserer Stadt vor.
»Ich weiß«, sagte Simon Petrus, »ich selbst habe ihn dorthin geschickt. Ich hoffe, es geht ihm gut?«
»Als ich ihn verließ, war es so. Seine kleine Gemeinde blüht und gewinnt ständig neue Anhänger.«
»Der Segen des Herrn ruht auf ihm. Aber das ist erst der Anfang«, murmelte Petrus, und seine mächtige Gestalt streckte sich.Er strich über seinen ergrauten Bart und sagte mit Nachdruck: »Wir werden nicht eher ruhen, als bis unsere Botschaft den letzten Winkel dieser Welt erreicht hat. Und wer die Botschaft
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