Agrippina - Kaiserin von Rom
jeden gesellschaftlichen Lebens und Treffpunkt der vornehmen Welt. In prachtvoller Robe stolziert man in der Stadt umher, schlendert an den geschmückten Stränden entlang oder durch die ausgedehnten Myrtenhaine und zerreißt sich mit Vorliebe die Münder. Klatsch und Gerücht gedeihen hier wie sonst nirgends. Die Spitzen der römischen Gesellschaft pflegen sich hier von der Mühsal der Tagespolitik zu erholen. Auf den waldigen, in üppiger Vegetation prangenden Hügeln rings um die Bucht liegen prachtvolle Landhäuser und gewähren ihren noblen Besitzern von marmornen Terrassen aus einen herrlichen Blick auf das Azurblau des Meeres. Tagsüber genießt man die stets laue Luft und ein Bad in den heilenden Quellen, am Abend findet man sich zu einer der zahllosen Lustbarkeiten ein, die in den prächtigen Palästen oder auf den rosenbekränzten Barken der Reichen und Schönen stattfinden. Kühle, luftdurchwehte Abende, sternhelle Nächte, der aromatische, sinnenverwirrende Zauber des Klimas locken die Menschen in die gepflegten Platanenhaine, und die lauschigen Lauben aus geschorenen Buchshecken tönen wider vom zärtlichen Geflüster der Liebenden. Momente des Genießens, weltvergessene Seligkeit, Überfülle des Luxus.
Der dem geneigten Leser schon bekannte Spötter Martialis wird später einmal, ganz gegen seine Gewohnheit in völliger Ernsthaftigkeit, ausrufen: »Wollte ich Baiaes Lob in tausend Versen besingen, hätte ich es immer noch nicht nach seinem Verdienst gelobt,ein freundliches Geschenk der Natur ist es, dessen sie sich rühmt!« Und auch der große Horaz stimmt in den Lobgesang ein: »Kein Meerbusen der Welt überstrahlt den lieblichen Reiz von Baiae. «
Freilich ist der Ort nicht weniger für seine Schönheit als für seine Sittenlosigkeit bekannt, weshalb der Dichter Propertius seine Geliebte Cynthia vor den dort lauernden Gefahren mit den Worten warnt: »Seine Ufer haben schon so manchem Liebespaar die Trennung gebracht und unzählige ehrenhafte Jungfrauen ins Verderben gestürzt!«
Und Ovid, der weltberühmte Dichter der Metamorphosen, meint, dass schon manche Frau, die in den heißen Quellen der Thermen Heilung gesucht habe, statt der erwünschten Heilung eine schmerzende Wunde im Herzen davongetragen habe. Auch dem sittenstrengen Seneca, der den Kaiser oft genug zu begleiten hat, ist das zügellose Treiben zuwider. Seinem Freund Lucilius schreibt er: »Diesen Ort muss man meiden. Zwar verfügt er über gewisse natürliche Vorzüge, doch hat ihn die Genusssucht selbst als Wohnsitz ausgesucht. Es macht mir keine Freude, in einem Gasthaus zu sitzen, betrunkene Menschen am Strand entlangwanken zu sehen, dem Treiben der umherfahrenden Boote zuzuschauen und den Liedern zuzuhören, die über das Wasser gegrölt werden.«
***
Nicht weit entfernt von Baiae , am nördlichen Horn der Bucht, liegt der Hafen Misenum, Hauptquartier der misenischen Flotte. Und hier im Hafen tut sich seit Tagen Ungewöhnliches: Ein ganzer Bezirk ist von einer Prätorianercohorte abgesperrt, und Zutritt wird nur wenigen gewährt, die sich ausweisen können. Eine Fülle von Handwerkern, alle aus Rom angereist und den Einheimischen fremd, arbeitet dort ohne Pause. Ein Hämmern und Sägen schallt durch das Gelände, dass sich die Anwohner verwundert anschauen. Zwar ist es nicht ungewöhnlich, dass hier Schiffe gebaut werden – dass aber ein ganzer Bezirk hermetisch abgeriegelt wird, ist doch merkwürdig. Und sogar des Nachts plagt die Anwohner der Baulärm,der aus dem fackelerleuchteten Gebiet kommt. Doch wird eine Beschwerde, die ein Mutiger eingereicht hat, vom städtischen Magistrat mit dem Einwand beiseite gewischt, es geschähe auf Befehl des Kaisers. Danach gab es keine Beschwerden mehr! Als das Hämmern und Sägen ein Ende gefunden hat, erreicht eine kurze Notiz den Kaiser, der sich in seinem Palast westlich von Baiae aufhält:
Mein Cäsar!
So wie es versprochen wurde, wurde es gehalten!
Das Schiff ist gebaut, alles ist vorbereitet.
Mögen die Götter dich schützen!
Anicetus, Kommandant der Classis Misenica
Als man die Nachricht durch einen zuverlässigen Boten in den Palast bringt, nimmt Nero den dünn geschliffenen Diamanten, der ihm beim Lesen helfen soll, in die Hand und beäugt neugierig das Täfelchen. Neben ihm räkelt sich Poppaea auf der Liege und knabbert gelangweilt an ein paar Trauben. Sie lässt den Cäsar nicht aus dem Augen. Plötzlich geht ein Leuchten über seine aufgedunsenen Züge. Alles ist
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