Agrippina - Kaiserin von Rom
der Gefangene dem Henker übergeben wurde, und dass er im ganzen Palast das Gerücht gestreut habe, Agrippina habe ein Attentat auf ihren kaiserlichen Sohn veranlasst.
Die Blicke der Männer fallen wie zufällig auf den Flottenkommandanten.
»Er hat es begonnen, mag er es auch zu Ende führen!«, entscheidet Seneca, und seine Stimme duldet keinen Widerspruch. Voller Abscheu ist der Blick, mit dem er Anicetus streift.
***
Zaghaft meldet die Sonne erstes Rot, als ein Trupp von Bewaffneten auf das Landhaus Agrippinas am Lucriner See zusprengt. An der Spitze Anicetus, dahinter seine besonderen Vertrauten, der Schiffshauptmann Herculeius und der Flottencenturio Obaritus. Sie rücken aus, als gelte es, ein barbarisches Heer abzuwehren, und doch ist es nur eine Frau, der ihr Besuch gilt. Nur eine Frau!
Viel Volk hat sich um das Haus der Augusta versammelt, denn die Geschichte von »Unfall« und wundersamer Errettung hat sich auch in der Nacht schnell herumgesprochen. Als aber Anicetus und seine Schergen auftauchen, fliehen sie auseinander. Anicetus ist jemand, mit dem nicht zu spaßen ist. Das weiß in Baiae jedes Kind. Wütend treibt der Flottenkommandant seine Leute an. Es geht auch um seinen Kopf. Bei den Göttern, seine Konstruktion hat wieder versagt, und statt der Kaiserinmutter schlagen diese Trottel eine Sklavin tot. Alles muss man selber machen! Nur noch wenige Minuten, dann ist das Haus erreicht ...
Agrippina liegt erschöpft auf ihrer Liege. Nur spärlich wird ihr Schlafraum vom unsteten Licht einer Fackel erhellt. Die Angst vor dem, was da noch kommen mag, macht sie fast wahnsinnig. Nervös zupft sie an ihrem offenen dunkelblonden Haar, ordnet fahrig die dünne Nachtkleidung, die sie eben übergestreift hat. Die Wunde an der Schulter ist verbunden, nur ein pochender Schmerz erinnert noch an die Szene im nachtdunklen Meer. Schlimmer, viel schlimmer pocht die Wunde in ihrem Herzen! Und doch mag sie es nicht glauben. Vielleicht ist der Cäsar krank. Hat die teuflische Poppaea seine Sinne verwirrt? Kurz hat sie mit dem Gedanken gespielt zu fliehen. Aber wohin? Die Arme ihres mächtigen Sohnes reichenüberall hin. Sicher, in Germanien wäre sie in Sicherheit, dort liebt man sie, bringt ihr den nötigen Respekt entgegen. Einen Augenblick schweifen ihre Gedanken weit fort, in das Land mit den dunklen Wäldern und den breiten Strömen.
Colonia Claudia Ara Agrippinensium ! Einen Augenblick gedenkt sie in zärtlicher Erinnerung ihrer Geburtsstadt, der freundlichen Ubierstadt am Rhenus , deren Gründung sie veranlasst und deren Mauern sie seitdem nie mehr betreten hat. Das war unter Claudius, ihrem kaiserlichen Gatten.
Claudius! Sie sieht ihn vor sich, seine kräftige Gestalt, der sabbernde Mund, die unbeholfene, aber stets freundliche Art. Eine Schüssel mit Pilzen erscheint vor ihren Augen, tödliche Pilze. Jetzt ist die Zeit gekommen, für die frühere Schuld zu bezahlen. Sie weiß es, aber sie hat Angst. Die Furcht kriecht wie kalter Nebel die Beine hoch, legt sich wie Blei auf die Brust und nimmt jede Luft zum Atmen. Und noch ein Gesicht taucht aus dem Nebel vergessener Vergangenheit auf: Britannicus, der schüchterne junge Prinz, Claudius’ Sohn aus der ersten Ehe mit Messalina. Auch den hat Nero auf dem Gewissen. Damals hätte sie ihm Einhalt gebieten müssen, aber ... aber sie hat es nicht getan. Und jetzt ist es zu spät.
Fenster und Türen sind fest verschlossen, aber es ist niemand mehr da, der sie schützen könnte. Alle haben das Haus verlassen, als hätte sie eine unsichtbare Furcht davongetrieben. Einzig Lavinia ist bei ihrer Herrin geblieben und versorgt sie in rührender Anhänglichkeit. Sie hat ihr schon einmal das Leben gerettet, damals, als das Bett plötzlich zusammenbrach. Jetzt weiß sie, dass auch dies ein Attentat war! Plötzlich werden ihre Gedanken gestört. Ein berstendes Geräusch von der Eingangstür lässt sie erschreckt hochfahren.
»Ich werde nachsehen«, sagt Lavinia zitternd.
»Auch du verlässt mich?«, murmelt Agrippina und sieht der jungen Sklavin traurig nach.
Im Atrium stößt Lavinia auf Anicetus und seine Männer, die sich gewaltsam Zutritt zum Haus verschafft haben. Mit einem rohen Lachen stößt Herculeius das Mädchen beiseite.
Agrippina sitzt hoch erhoben auf ihrem Bett. Knirschende Schritte, raue Stimmen, das metallene Geräusch eisenbewehrterBeinschienen, sie künden vom nahenden Tod! Alle Angst fällt mit einem Mal von ihr ab, kühler Stolz belebt ihre Züge.
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