Agrippina - Kaiserin von Rom
Jesus Christus sprach, den seine Anhänger als Sohn Gottes bezeichneten. Er muss ein sehr weiser Mann gewesen sein. Er konnte Wunder wirken, Kranke heilen, ja sogar Tote hat er auferstehen lassen, erzählte Gratus. Er selbst habe die Wunderzeichen gesehen, die bei seiner Kreuzigung geschehen sind. Außerdem hat dieser seltsame Mann Lehren verkündet, die so ganz anders sind als das, was unsere Götter wollen. Man solle seinen Nächsten lieben wie sich selbst, auch seine Feinde müsse man lieben. Und es gebe nur einen Gott, nämlich den, der ihn geschickt habe. Und wer an ihn und an seinen Gott glaube, der werde in Ewigkeit leben.« Sie seufzte tief auf, und eine Träne rann aus ihren Augen.
»Mein Gemahl hat diese Worte gierig aufgesogen, wie ein Verdurstender. Mit den alten Göttern konnte er schon seit langem nichts mehr anfangen. Wie du siehst«, wies sie auf die leeren Podeste, »hatte er ihre Statuen bereits entfernen lassen. Nur die Statue des Liebesgottes duldete er noch, weil die Liebe auch eine besondere Bedeutung in seinem neuen Glauben hatte.«
Gespannt hatte Valerius den Worten der Witwe gelauscht. Was er da hörte, klang unglaublich. Tullia strich sich mit ihren feingliedrigen Händen über das ergrauende Haar und fuhr mit leiser Stimme fort: »Dann kamen Eucharios und Maternus aus Rom. EinMann namens Petrus habe sie geschickt, um die Botschaft dieses Gottes in Germanien und Gallien zu verbreiten. Gratus kannte sie beide aus seiner Zeit in Judäa.«
»Und wer ist nun wieder dieser Petrus?«
»Offensichtlich einer der engsten Vertrauten dieses Christus. Er stammt wohl auch aus dem Land der Juden, ist aber nach Rom gereist, um dort der Gemeinde vorzustehen. Sie nennen sich Nazarener, weil dieser Christus in einem Ort namens Nazares oder so ähnlich geboren wurde.«
»Aber wenn er in einer unserer Provinzen geboren wurde, wie kann er dann Sohn eines Gottes sein?«
»Ich kann es dir nicht sagen. Aber wurde nicht auch Aenas als Sohn der Juno geboren? Und hat sich nicht daher der große Cäsar, dessen ruhmreiches Schwert wir hier im Marstempel aufbewahren, immer seiner göttlichen Herkunft gerühmt? Und galt nicht Cleopatra, seine orientalische Geliebte, als Tochter der Göttin Isis?«
Valerius staunte über das umfangreiche Wissen der gebildeten Frau und nickte nur.
»Eucharios und Maternus wollten, so viel wurde nach und nach deutlich, hier in Colonia Agrippinensium eine ... eine Gemeinde dieses neuen Glaubens aufbauen. Das an sich wäre ja nicht so schlimm gewesen, denn wir Römer sind, wie du weißt, sehr tolerant, wenn es um Religion geht. Wenn wir die ägyptische Isis verehren, den parthischen Mithras oder den britannischen Silvanus, warum nicht auch einen orientalischen Christus, zumal wenn man sich die Lehren dieses Mannes genauer anschaut. Viel weiß ich nicht von ihnen, aber so viel hat Lucius mir doch erzählt: Lebten die Menschen nach ihnen, so würde das goldene Zeitalter, wie es Ovid beschrieben hat, zurückkehren.«
»Wenn es also nicht der Glauben jener orientalischen Sekte war, was hat sie dann in diesen Strudel aus Tod und Verderben gerissen?« Valerius’ Augen glänzten, und seine Wangen hatten Farbe angenommen. Endlich schien er dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
»Ich weiß es nicht!« Tullias Stimme klang gequält.
Valerius atmete tief aus und ließ sich seine Enttäuschung anmerken.
»Es tut mir Leid, Tribun Valerius. Niemand wüsste lieber als ich, was meinem Gemahl das Leben gekostet hat. Es muss da noch etwas anderes gegeben haben, aber Lucius hat nie darüber gesprochen. Nur einmal hat er angedeutet, dass es sich um eine Sache auf Leben und Tod handelt. Vielleicht hilft dir dieser Brief weiter, den Eucharios ihm nach seiner Abreise geschrieben hat. Warte bitte einen Augenblick.«
Nach wenigen Augenblicken brachte sie dem Tribun eine Schriftrolle, die dieser eilig entrollte:
Eucharios grüßt seinen viellieben Lucius Poblicius,
Bruder im Herrn
Es drängt mich, dir, lieber Bruder, von den Ereignissen zu
berichten, die sich nach meiner Rückkehr in die Stadt der
Treverer abgespielt haben. Zunächst hatte ich Trauriges
zu vermelden: Salvienus, der Sohn jener vornehmen Witwe
Albana, die mich so hochherzig in ihrem Hause aufnahm,
starb unmittelbar nach meiner Rückkehr an hohem Fieber.
Doch Gott hat es in seiner Allmacht gefallen, mir die Kraft
zu verleihen, ihn ins Leben zurückzurufen. So geschah ihm
ähnlich Wunderbares wie unserem trefflichen Bruder
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