Ahnentanz
auftauchte?“
Sie blickte ihn an, und er hatte den Eindruck, dass sie sich für die Antwort wappnete.
„Weil mich die Karte angrinste“, sagte sie.
„Was?“ Er hätte nicht sagen können, was er erwartet hatte, aber das bestimmt nicht.
Sie schüttelte seine Hand ab. „Ich wusste, dass ich nichts hätte sagen sollen. Ich wusste, dass Sie nur über mich lachen und denken würden, dass ich betrunken oder durchgedreht sein muss oder mich einfach nur zu ernst nehme. Hören Sie, ich habe Ihnen meine Geschichte erzählt, Jennys Geschichte, undich habe sogar Ihre lächerlichen Fragen zu Vinnie beantwortet. Was wollen Sie noch von mir?“
„Ich habe nicht über Sie gelacht“, sagte er.
„Können wir bitte gehen?“, bat sie.
„Ich schwöre, dass ich nicht über Sie gelacht habe. Ich verstehe es nur nicht.“
„Nein, und ich glaube, das werden Sie auch nicht, und deshalb möchte ich gehen.“
Okay, vielleicht hatte er gedacht, dass sie sich Dinge eingebildet hatte. Doch ihre Reaktion auf Jenny Trents Bild war echt gewesen. Was auch immer hier vor sich ging, sie glaubte eindeutig daran, dass an jenem Tag etwas Merkwürdiges geschehen war.
Und war nicht etwas Unerklärliches letztlich auch der Grund, warum er hier saß? Eine Vorahnung?
„Kendall, ich verspreche, ich habe nicht über Sie gelacht, und es tut mir leid, wenn Sie das gedacht haben“, erklärte er feierlich. Er blickte auf die Uhr. Er wollte noch in die Bar, doch der Abend mit ihr sollte nicht im Schlechten enden.
„Können wir gehen?“, fragte sie wieder in kühlem Ton. Offenbar nahm sie ihm seine Entschuldigung nicht ab.
„Natürlich.“
Mit einem Wink bat er die Kellnerin um die Rechnung.
Während er auf die Rückgabe seiner Kreditkarte wartete, sprach Kendall kein Wort und sah ihn nicht einmal an.
Als sie aufstanden, sagte sie rein mechanisch: „Danke für das köstliche Dinner.“
„Es war mir ein Vergnügen“, erwiderte er und wusste, dass er ebenso hölzern klang.
Die ganze Fahrt zurück schwiegen sie.
Er fuhr zweimal um ihren Block, ohne dass er eine Parkmöglichkeit fand.
„Sie können mich hier irgendwo rauslassen“, sagte sie. „Nein, kann ich nicht“, entgegnete er.
„Dann halten Sie einfach in der zweiten Reihe und begleiten Sie mich zur Haustür.“
„Nein.“
Stur fuhr er erneut um den Block und fand endlich einen Parkplatz. Ungeduldig wartete sie, während er Münzen in den Automaten warf. Offenbar hätte sie ihn am liebsten durchgeschüttelt, doch zugleich war sie höflich und würde nicht ohne ihn losgehen.
Sie protestierte nicht, als er ihren Arm nahm, doch er konnte ihre Anspannung spüren. Er begleitete sie zur Haustür und dann noch bis zu ihrer Wohnungstür.
Als sie sich umdrehte, um sich zu verabschieden, war er vorbereitet.
„Kendall, Sie sind wütend auf sich, nicht auf mich. Ich habe kein Wort zu Ihnen gesagt. Nein, ich verstehe es nicht. Aber ich weiß, dass etwas vorgefallen ist und dass es Sie beunruhigt. Ich habe bemerkt, wie Sie auf das Bild von Jenny Trent reagierten. Ich weiß, dass Sie aufrichtig sind und mir die Wahrheit sagen.“
Sie starrte ihn ausdruckslos an. Dann holte sie tief Luft. „Ich hoffe, Sie finden sie. Aber … Sie müssen Vinnie in Ruhe lassen. Er ist ein guter Kerl. Das weiß ich.“
„Sicher.“
„Lügner.“
„Wenn er ein guter Kerl ist, werde ich es wissen.“
„Aber Sie vertrauen dabei nicht meinem Wort?“
„Ich würde dabei nicht einmal dem Wort meiner Mutter vertrauen. Das ist nun mal mein Beruf.“
Sie wirkte verstört – und das nicht nur wegen Vinnie.
„Ist alles in Ordnung?“, wollte er wissen. „Selbstverständlich.“
„Nein, ist es nicht.“
„Ich kann es nicht erklären.“
Sie standen sich für einen Moment schweigend gegenüber, und es war ein sehr seltsames Gefühl. Es war, als ob er Wellender Erwartung spürte, die von ihnen beiden ausgingen. Wenn sie ein Date hätten …
Herrje, er konnte sich kaum an seine Dating-Zeit erinnern, und so oder so war es heute nicht mehr das Gleiche. Die Leute schienen sich unverbindlicher zu treffen – meistens in einer Bar, wo sie einander in Augenschein nahmen, um dann möglichst rasch im Bett zu landen. Manchmal sogar, bevor man den Namen des anderen kannte. Er hatte es selbst getan. Er war einoder zweimal aufgewacht, ohne den Namen der Frau zu kennen, mit der er die Nacht verbracht hatte.
Und es hatte auch keine Rolle gespielt. Sie würden einander nicht wiedersehen.
Aber Kendall …
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