Ahnentanz
Als sie zurück ins Schlafzimmer ging, begleitete die Katze sie. Es war, als ob auch Jezebel Gesellschaft suchte.
Kendall legte das Tagebuch auf ihren Nachttisch und drückte die Katze eng an sich, während sie sich auf eine romantische Komödie im Fernsehen konzentrierte.
Das war auch nicht besser. Alles, woran sie denken konnte, war die letzte Nacht …
Es würden mehr Nächte folgen, beruhigte sie sich.
Doch die heutige Nacht würde sehr lang werden.
Sie schaltete auf einen Cartoon-Kanal, doch es ging um Vampire aus dem All, und sie war nicht sicher, ob dies im Moment das richtige Thema für sie war. Schließlich fand sie einen Kanal, der ausschließlich alte Sitcoms zeigte, und schloss endlich die Augen.
Das Gelächter hätte ihre Träume begleiten sollen.
Doch das tat es nicht.
Zuerst glaubte sie, an einer Klippe in der Dunkelheit zu stehen.Der Mond stand hoch am Himmel, doch sein fahler Lichtschein war furchterregend und voller Schatten. Ein Sturm zog irgendwo am nächtlichen Firmament auf.
Sie blickte sich um und bemerkte, dass sie gar nicht an einer Klippe stand. Sie befand sich auf einem kleinen Hügel, jenem Hügel, auf dem das Haus der Flynns gebaut war.
Sie betrachtete das Haus, das blendend weiß aus der Dunkelheit herausstach. Abgesehen von den Fenstern. Sie wirkten wie Augen, die ausdruckslos in die Welt hinausstarrten. Das erinnerte sie an eine der Halloween-Dekorationen im Laden, und sie dachte, wenn sie den Stecker einstöpseln könnte, würden die Fenster erleuchtet werden und sie nicht länger aus dieser dunklen Leere heraus anstarren.
Sie spürte eine Brise in ihrem Haar und schaute nach oben. Und da war der Geist.
Fiona MacFarlane Flynn, die über den Balkon im ersten Stock rannte, ihren Mund zum tonlosen Schrei geöffnet.
Sie war ganz in Weiß gekleidet, und ihr Kleid flatterte, während sie in Panik davonlief. Weil sie gejagt wurde.
Kendall bemühte sich, ihr Gesicht zu erkennen. Sie erschrak und versuchte, dem Traum zu entkommen.
Denn sie kannte das Gesicht. Es war das Gesicht jener jungen Frau, die Aidan suchte.
Jenny Trent.
Dann veränderte sich das Gesicht und gehörte nicht länger Jenny. Es war das Gesicht des Todes, wie sie es nur zu gut von ihren Tarotkarten kannte. Und es schrie auch nicht mehr.
Es lachte, mit weit geöffnetem Mund und wahnsinnigen Augen.
Der Sturm tobte um Kendall. Sie rief in den Himmel, dass die Karte nicht Tod, sondern Veränderung bedeute, und versuchte stark und unbeeindruckt zu klingen. Sie kämpfte gegen den Wind an, der sie zu Boden zu werfen drohte. Sie hatte Angst, dass sie niemals wieder aufstehen könnte, wenn sie ersteinmal gestürzt war.
Es begann zu regnen, und als sie die Hand hob, erkannte sie, dass die Tropfen Blut waren.
Und dann erblickte sie, was hinter dem Geist mit der lachenden Fratze des Todes auf sie zukam.
Knochen.
Eine Flutwelle von Knochen.
Sie fegte über sie hinweg und drohte sie zu verschlingen. Mit einem Schrei wachte sie auf und spürte, dass etwas auf ihrer Brust saß und sie aus glühenden Augen anstarrte.
„Was für Geister?“, fragte Aidan.
Jimmys Augen weiteten sich vor Angst. „Ich höre sie manchmal. Auf dem alten Friedhof.“
„Hören, wie sie was tun?“
„Sie lachen“, erwiderte Jimmy. „Und sie flüstern.“
„Was sagen sie denn?“
„Glauben Sie, ich bin verrückt? Ich gehe da nicht raus und frage sie, worüber sie sprechen. Ich schließe mich hier ein und bete.“
„Flüstern sie immer nach ein paar Bier?“, fragte Aidan.
Jimmy machte sich kerzengerade. „Ich komme von der Arbeit. Ich kaufe zwei Dosen Bier und etwas zu essen. Ich komme hierher, schließe die Tür, esse mein Abendessen und lese meine Zeitung. Ich halte die Tür geschlossen. Ich halte sie geschlossen, wenn es regnet, wenn es windig ist und wenn die Geister draußen sind. Ich betrinke mich nicht, ich entspanne mich nur ein wenig. Danach schlafe ich gut. Ich glaube, die Geister wissen, dass ich hier bin, doch wenn ich einfach hier drin bleibe und sie nicht belästige, belästigen sie mich auch nicht. Sie sind nicht immer da draußen – jedenfalls nach meinem Gehör. Nur manchmal.“
Nur dann, wenn Jimmy mehr als zwei Bier getrunken hatte? „Sie waren letzte Nacht hier, oder?“
„Ja.“
„Haben Sie die Geister gehört?“
„Nein“, sagte Jimmy. „Vielleicht waren sie draußen, als ich geschlafen habe, doch ich habe sie nicht gehört.“ Sein Gesicht hellte sich auf, als sei er erpicht, Aidan zu gefallen.
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