Ahnentanz
besaß.
Schließlich ging er zu Bett, wo er wach lag und darüber nachgrübelte, was an diesem Haus ihm ein so unbehagliches Gefühl einflößte. Er sollte erfreut sein, dass er das Rätsel von Amelias gruseligen Lichtern gelöst hatte, welche nur von Jimmy stammten, der dort unten in den alten Sklavenquartieren wohnte. Doch irgendetwas störte ihn noch immer.
Voller Ungeduld mit sich selbst war er schließlich so verzweifelt, dass er es mit Schäfchenzählen versuchte, was jedoch misslang, als seine Schafe sich in Voodoo-Puppen verwandelten. Er gab auf und begann stattdessen einfach nur zu zählen. Kurz vor dem Morgengrauen schlief er endlich ein.
Er erwachte, als er die ersten Arbeiter in der Auffahrt hörte.
Kendall schnappte nach Luft, als ihr klar wurde, dass sie direkt in Jezebels Augen sah.
Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Dann miaute Jezebel mitleiderregend, und sie rang sich ein Lachen ab.
Durch die Vorhänge drang bereits Licht, und sie erkannte, dass es schon Morgen war.
Sie zog Jezebel an sich. „Was ist los, Katze? Mache ich dir Angst? Das ist in Ordnung, ich mache mir selber Angst. Aber ich verspreche dir, es wird sich alles wieder beruhigen. Komm her. Ich wette, du möchtest Frühstück.“
Sie stand auf, fütterte die Katze, setzte Kaffee auf und ging ins Bad, um zu duschen. Das Wasser erfrischte sie, und sie machte sich sorgsam daran, ihr Haar zu waschen, die Beine zu rasieren und das Gesicht zu schrubben. Einige Minuten später ging sie, in einen Bademantel gehüllt, in die Küche, um sich Kaffee einzuschenken. Im Licht des Morgens schien ihr Traum von letzter Nacht lächerlich.
Freud hatte gesagt, dass die meisten Träume sexuelle Untertöne hätten. Sie dachte an ihren Albtraum, der ihr so real erschienen war – und doch hatte sie auf eine gewisse Art die ganze Zeit gewusst, dass es nur ein Traum war. Sosehr sie sich auch bemühte, konnte sie nichts Sexuelles daran entdecken. Er war schlicht und einfach furchterregend gewesen, und sie würde nicht weiter darüber nachdenken.
Sie entschied, stattdessen an Aidan Flynn zu denken. Sie war hin und her gerissen. Sie wollte ihn nicht mögen, doch sie konnte nichts dagegen tun: Aus irgendeinem Grund respektierte sie ihn. Es hatte Momente gegeben – zugegebenermaßen ziemlich am Anfang ihrer Bekanntschaft –, als sie ihn fast gehasst hatte. Doch sie kannte ihn nicht lange genug, um ihn zu lieben. Oder doch? Sie schlief gerne mit ihm, und ein Teil von ihr gab zu, dass sie Angst hatte, ihm zu nahezukommen. Denn er war vielleicht der Mann, in den sie sich verlieben könnte, und sie war vermutlich nicht die Frau, mit der er für den Rest seines Lebens zusammen sein wollte.
Sie goss sich noch einen Becher Kaffee ein und ging dannin den hinteren Teil des Apartments, wo sie die Vorhänge von den Fenstertüren zurückzog. Es sah nach einem schönen Tag aus – kein Anzeichen eines Sturms, geschweige denn eines Regens aus Blut. Sie öffnete die Tür und trat in den Hof hinaus.
Obwohl sie gerade erst geduscht hatte, ertappte sie sich dabei, wie sie auf ihre Hand starrte.
Kein Blut.
Draußen im Hof nippte sie an ihrem Kaffee. Von ihren Nachbarn war nichts zu sehen, sodass sie dort allein stand und die sanfte Brise genoss. Der Oktober ist ein wunderschöner Monat, dachte sie.
Der Hof sah im Großen und Ganzen noch immer so aus, wie er fast zwei Jahrhunderte lang ausgesehen hatte. Ihr Haus war eines der wenigen, die das Feuer von 1788 überstanden hatten, bei dem der größte Teil der Stadt zerstört worden war. Dieses Viertel mochte sich French Quarter nennen, doch ein großer Teil der Architektur, die die Stadt berühmt gemacht hatte – eingeschlossen die „cities of the dead“ genannten Friedhöfe mit ihren Mausoleen –, stammten aus einer Zeit, als die Gegend unter spanischer Herrschaft gestanden hatte. Einst war die enge Gasse, die hinter dem Hof entlangführte, der Haupteingang gewesen. Noch immer befand sich dort ein riesiges altes Tor, das jeden Morgen von der Gärtnerfirma benutzt wurde, die den Rasen des Innenhofes in Schuss hielt.
Blumenbeete und schöne Pfanzenkübel umschlossen Korbtische und -stühle. Das alte Kutschenhaus stand auf der einen Seite, und eine hohe Ziegelmauer schützte die Privatsphäre der Mieter.
Sie schlenderte zu einem Stuhl und setzte sich. Sie genoss die Schönheit des Morgens, die sie daran erinnerte, warum sie diese Stadt liebte, die immer ihre Heimat gewesen war und die sie niemals
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