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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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er das Außendeck betrat, den Rollstuhl schon aus der Ferne entdecken. Was zur Folge hätte, dass er sich, so Ploteks Überlegung, auf direktem Wege in diese Richtung begeben würde. Was wiederum bedeutete, dass sich Plotek hinter dem großen Schornstein des Schiffes auf der Backbordseite verbergen konnte. Um von da aus dem Unbekannten dann, wenn es erforderlich wäre, in den Rücken zu fallen. Während er noch ganz mit diesen Überlegungen beschäftigt war, hörte er plötzlich, wie sich die Glastür am Panoramasalon öffnete. Er sah eine Person, die sich langsam und betont auffällig schlendernd, als wäre sie bei einem Verdauungsspaziergang, dem Rollstuhl näherte. Plotek konnte sich wie geplant auf der Backbordseite hinter dem Schornstein verstecken, den die Person ebenfalls wie geplant auf der Steuerbordseite passierte. Sie verschwand dadurch aus Ploteks Blickfeld. Um dann kurz darauf ein paar Meter von der Reling und dem Rollstuhl entfernt wiederaufzutauchen. Ohne ein Wort griff die Person in ihre Jackentasche, zog eine Pistole und schoss zweimal auf die Gestalt im Rollstuhl. Die Schüsse hallten dumpf, die Kugeln fraßen sich in die Sofalehne. Woraufhin diese nach vorne kippte. Plotek war überrascht. Auch konsterniert. Vor allem hätte er nicht gedacht, dass die Person ohne Vorwarnung aus vielleicht vier, fünf Metern Entfernung einfach kaltblütig auf den Rollstuhl ballern würde. Ohne lange weiter nachzudenken, stürzte er aus der Deckung hinter dem Schornstein hervor. Er stand nun direkt hinter dem Unbekannten und rammte ihm einen seiner dicken Finger in den Rücken. Der musste sich dort wie ein Pistolenlauf anfühlen. Was auch beabsichtigt war. Worüber die Person allerdings überhaupt nicht erschrak.
    »Hände hoch!« Er klang zaghaft, uninspiriert und wenig überzeugend. Irgendwie albern. Plotek hatte noch nie großes Talent gehabt, Befehle deutlich und glaubhaft rüberzubringen. Weder privat noch beruflich. »Geben Sie Gedankenfreiheit!« Friedrich Schiller, Don Karlos, damals in den Neunzigern irgendwo in der Provinz. Stadttheater Konstanz, Landestheater Detmold, Ingolstadt, Würzburg oder sonst wo, wo das überregionale Feuilleton nicht hinkommt. Plotek als Marquis von Posa, 3. Akt, 10. Szene: »Geben Sie Gedankenfreiheit!« Kein Wunder, dass Philipp der Zweite, König von Spanien, beinahe in Gelächter ausbrach. Den Marquis am Ohrläppchen hinter sich herzog wie einen unartigen Schulbuben und ins dunkle Eck stellte. Da dann »Vergiss es!« zischte.
    Ploteks »Hände hoch« klang ähnlich harmlos. Zeigte aber Wirkung. Tatsächlich hob die Person langsam die Arme. Aber Plotek blieb keine Zeit, sich zu freuen. Erstens würde sich irgendwann, womöglich ziemlich schnell, heraussteilen, dass sein Finger kein Pistolenlauf war. Zweitens war da noch etwas anderes, das ihm die Genugtuung vermieste. Denn bevor er nach der Waffe in der Hand der Person greifen konnte, hörte er: »Das würde ich Ihnen auch raten!« Es war eine Stimme, die neben Plotek wie aus dem Nichts auftauchte. Dazu drückte etwas Hartes an seinem Ohrläppchen. Aber kein Finger. Das war ein echter Pistolenlauf. Die Stimme gehörte zu einem Mann. Plotek hob langsam, ebenfalls in Zeitlupe, die Arme. Während sich die Person, die geschossen hatte, umdrehte.
    »Na, das hat ja perfekt geklappt!« Es war eine Frau. In diesem Moment wurde Plotek klar, dass er in seine eigene Falle getappt war. Nach dem Motto: Wer ändern eine Grube gräbt. . . Jetzt lächelte die Frau, als würde sie dasselbe denken. Es war die Zauberin. Aida. Nach der Show ist vor der Show, und als hätte sie noch ein Ass im Ärmel, griff sie sich ausladend mit der rechten Hand an den Kopf. Sie zog mit einem Ruck an den Haaren und zauberte unter dem roten Pagenschnitt einen blonden Kurzhaarschnitt hervor. Wodurch sich die Frau vor den Augen Ploteks binnen Sekunden in eine ganz andere verwandelte: In die Leiche aus dem Zug. Die Frau auf dem Aquarell. Uma Thurman in Blond! Der Mann, der noch immer seine Pistole an Ploteks Kopf hielt, trat jetzt hinter ihm hervor. Und in sein Gesichtsfeld. Und doppelte Überraschung: Das war der ewig lächelnde Steward mit den blonden Haaren. Den Plotek jetzt zum ersten Mal ohne Lächeln sah.
    »Sie haben wohl gedacht, Sie können uns austricksen, was?« Jetzt lächelte die Frau. Es war ein schönes Lächeln. Ein freundliches. »Aber wenn wir ehrlich sind, haben wir gedacht, es wäre doch ein cleverer Schachzug, wenn Sie glauben würden, dass Sie

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