Ahoi Polaroid
beobachtet zu werden. Und zwar nicht nur vom Glasfenster.
»Stimmt.«
Sie machten kehrt und gingen das kühle Kirchenschiff entlang zum ältesten Teil der Kirche, der kleinen St.-John-Kapelle. Drinnen war niemand zu sehen. Plotek schob Vinzi im Rollstuhl an den einfachen Holzbänken vorbei in Richtung Marmoraltar, auf dem ein Glaskreuz stand. Er hob den Rollstuhl über die niedrige Stufe hinweg, so dass sie sich nun in der Apsis der Kapelle befanden. Zwei brennende Kerzen standen auf dem Altar.
»Schön«, sagte Plotek wieder und Vinzi ergänzte: »Aber auch ein wenig unheimlich.« Während sie erneut ein seltsames Gefühl überfiel. Vinzis Beinstümpfe kribbelten plötzlich. Das taten sie nur bei Wetterumschwung. Bei bevorstehenden Katastrophen. Tsunamis oder dergleichen. Noch ehe Vinzi darüber nachdenken konnte, was der Auslöser des Phantomschmerzes sein konnte, war die Katastrophe schon da. »Sag, dass du es nicht siehst!« Er wünschte sich, die St.-John-Kapelle nie betreten zu haben.
Zu spät. Auch Plotek sah es und traute seinen Augen nicht. »Das gibt es doch nicht.«
Gab es doch! Auf dem Altar neben dem Kreuz stand ein Einmachglas. So eins für eingelegte kleine Gurken. Ohne Banderole. Mit rotem Deckel. In dem Glas waren aber keine Gurken, sondern ein Auge. Ein menschliches Auge natürlich. Zunächst dachte Plotek noch, dass es eines der verlorenen von Pastor Ralf Augustin wäre. Bis er beim zweiten Blick feststellen musste, dass das nicht sein konnte. Augustin hatte blaue Augen. Das hier war braun.
»Kuhlbrodt«, sagte Vinzi.
»Swantje«, sagte Plotek.
»Hä?« Verwirrung bei Vinzi.
»War es nicht Swantje, die dich mehr oder weniger zwangsverpflichtet hatte, in den Dom zu gehen?«
Vinzi sah ihn an, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Dann ist aber auch Herlinde Vogler-Huth extrem verdächtig.«
»Hä?« Jetzt kopierte Plotek Vinzis Blick.
»Sie war es doch, die dir wärmstens empfohlen hat, dem Dom einen Besuch abzustatten?«
Stimmte auch wieder. Vinzi schüttelte den Kopf. »Das ist doch viel zu offensichtlich!«
Und noch einmal. »Nein, nein, so blöd kann niemand sein.«
»Swantje vielleicht. . .« Plotek schien sich von seiner Einschätzung nicht abbringen zu lassen.
»Vergiss es. Die ist extrem geil, hat Titten, die dich den Verstand verlieren lassen. Aber blöd ist die nicht. Raffiniert, nicht blöd.« Vinzi dachte nach. Mit Blick auf das Auge im Glas sagte er: »Wenn sie dem Kuhlbrodt die Augen aus dem Kopf gequetscht hätte, dann hätte sie es hier nicht auf dem Altar ausgestellt, sondern mir in die Unterhose geschmuggelt.«
»Was sicher ein Leichtes gewesen wäre«, bestätigte Plotek.
»Stimmt.«
Jetzt mussten die beiden sogar ein wenig lachen. Sie ließen das Auge im Glas auf dem Altar stehen und machten sich auf den Weg zurück zur MS Finnmarken.
An Bord gaben sie zunächst das Herrentäschchen von Bruchmeier an der Rezeption ab und begaben sich hernach noch einmal in die Kabine von Kuhlbrodt. Wobei Vinzi seinen Rollstuhl in der eigenen Kabine stehenließ und auf seinen Beinstümpfen nach nebenan hoppelte. Sie saßen beide auf dem Sofa und waren sich nicht ganz sicher, was sie hier eigentlich wollten.
»Das hat System«, sagte Vinzi ganz in Gedanken.
»Was?«
»Na, zuerst Augustin und jetzt Kuhlbrodt.« Zwei Finger schnalzten aus seiner Faust. »Zwei völlig unterschiedliche Menschen. Zumindest dem ersten Eindruck nach. Und dennoch scheint sie etwas zu verbinden.«
Plotek überlegte. »Womöglich hat das mit dem Schreiben im Herrentäschchen von Bruchmeier zu tun.«
»Kann sein.« Die Finger verschwanden wieder in Vinzis Faust.
»Irgendwas mit der Vergangenheit.«
»Eine Vergangenheit, die beide verbindet.«
Vinzi schüttelte den Kopf. Plotek auch. »Das Auffälligste ist«, sagte er, »dass beide nicht einfach umgebracht wurden, sondern regelrecht hingerichtet.«
»Ja, das war ein Ritualmord. Da steckt Symbolik hinter«, sagte Vinzi. »Ich hasse Symbolik!«
»Ich hasse Morde«, ergänzte Plotek.
»Obwohl du ja Erfahrung damit haben solltest.«
» Eben deswegen.«
Sie sahen sich an und wussten, dass sie nichts wussten. Oder zumindest nicht viel.
»Da hat jemand eine Rechnung offen, die er jetzt blutrünstig zu begleichen versucht.« Vinzi rieb seine Bein-Stümpfe, als würden sie schon wieder oder noch immer kribbeln.
»Die spannende Frage ist: Wer?«
»Und: Wer ist der Nächste?«, sagte Vinzi.
»Du meinst. . .?«
Vinzi machte eine
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