Ahoi Polaroid
Weber schwitzte noch immer, stöhnte und hielt sich am Treppengeländer fest. Die überraschten Blicken von Plotek konterte sie mit: »Dat war jetzt aber jut!« Sie sah zwar eher nach dem Gegenteil aus, was ihrer Begeisterung aber keinen Abbruch tat. »Sauna, Peeling, Massage, Ayurveda, Fango und all det!«, strahlte Mausi, während ihr der Schweiß die Schläfen herunterrann, als wäre beim Totalschaden auch der Tank beschädigt worden. Ihrem Mann Bärli hingegen schien die ganze Situation eher peinlich zu sein. Der schwergewichtige Busfahrer Weber gehörte einer Generation an, in der Männer, nachgerade Busfahrer, sich grundsätzlich nicht den Rücken massieren und die Fingernägel maniküren lassen. Für diese Generation war det nich jut, sondern schwul! Was Bärli so natürlich nur in Gegenwart seiner Busfahrerkollegen in der Mittagspause sagen würde. Keinesfalls in Anwesenheit seiner Frau. Plotek sah ihm aber an, dass er zumindest für einen Moment daran dachte.
Vinzi kam vom Klo zurück und war ebenso wie Plotek über das Aussehen der Webers höchst amüsiert.
»Gibt’s da auch Tantramassagen und Kamasutra?« Er zuckelte lustig mit den Beinstümpfen. Bärli wurde noch röter im Gesicht, als hätte Vinzi ihm beim Denken ertappt. Er schüttelte den Kopf.
Auch Vinzi schüttelte den Kopf, als er die fluoreszierenden Badelatschen sah und dann die Beine der beiden betrachtete. »Sagen Sie mal, haben Sie sich auch die Beine enthaaren lassen?«, fragte er an Bärli gewandt. Der nun ebenfalls an seinen Beinen hinunterblickte, als fiele ihm deren Haarlosigkeit zum ersten Mal auf. Er schüttelte den Kopf, als wollte er bedeuten: Die gehören nicht mir, die sind nur geliehen. Mausi lachte wie bei einem Witz und sagte, ohne auf Vinzis Frage einzugehen: »Ich schwör’s, dat is wie neujeboren.«
Steißgeburt, dachte Plotek. Und dann: Wenn man bei einer Neu- oder Wiedergeburt so aussieht wie die beiden, bleib ich lieber tot.
»Dat sollt’n Sie och mal probieren.« Mausi Weber wischte sich mit einem Lappen die Anstrengung aus dem Gesicht. »Täte Ihnen och janz jut.«
Im Grunde hatte sie Recht, aber Plotek lehnte jegliche Art von Entspannung, Erholung und dergleichen kategorisch ab - vom gewohnten Alkoholgenuss einmal abgesehen. Das war keine Frage von Anspannung, Strapazen oder Stress, sondern eine Frage des Prinzips. Vinzi war weniger dogmatisch. Für ihn war das in erster Linie eine Frage der Umstände. Würde zum Beispiel Swantje Schmitz mit ihm zusammen die Holzplanken in der Sauna teilen, wäre er gerne bereit, sich bei neunzig Grad totzuschwitzen. Auch hundert Grad - egal. Gegen Hitze schien er in Sachen Swantje völlig resistent zu sein. Womöglich, weil er sich in ihrer Gegenwart heiß wie Frittenfett fühlte. Hätte Herlinde Vogler-Huth hingegen die Sauna mit ihm teilen wollen, wäre ihm keine Ausrede zu schade gewesen.
»Na, dann bis zum Abendessen!« Mausi ging mit Bärli im Schlepptau zum Aufzug, wobei sie das linke Bein ein wenig nachzog. Offenbar hatte der Sturz bei der Polartaufe doch Folgen gehabt. Oder schlägt zu viel Fango vielleicht aufs künstliche Hüftgelenk, überlegte Plotek kurz.
Vinzi und Plotek sahen den beiden in ihren weißen Bademänteln hinterher, als seien es zwei Figuren aus einer Fernsehsendung des Kinderkanals: zwei fette Gespenster aus Köpenick mit rasierten Beinen. Bei dem Gedanken waren sie nicht mehr zu halten. Sie lachten, bis die Tränen kamen, und konnten sich erst wieder beruhigen, als der Schriftsteller neben ihnen auftauchte; obwohl dieser noch lächerlicher als sonst aussah. Seit seiner Begegnung mit dem Hafenarbeiter hatte er sich nämlich stark verändert. Die Blässe im Gesicht war gewichen. Dafür war ein Auge ein bisschen angeschwollen und gerötet. Blut klebte an der Stirn. Sein billiger Leinenanzug von H&M war verschmutzt und an der Sakkotasche eingerissen.
»Meinungsverschiedenheiten?«, fragte Vinzi.
Der Schriftsteller nickte und sah aus, als müssten die beiden gleich Erste Hilfe leisten.
»Die Hafenarbeiter hatten etwas dagegen, dass ich ihnen beim Beladen des Schiffes zusehe.«
Er wischte sich mit der Hand vor dem Gesicht hin und her. »Das ist doch nicht normal, oder?«
Nun, was ist schon normal, dachte Plotek. Ausgestochene Augen; geschundene Körper, bei denen der Schwanz mal fehlt, dann wieder nicht; durchbohrte Hände und Füße...
»Als ob sie keine Konservendosen, sondern Leichenhälften verladen würden.« Der Schriftsteller ließ daran kein
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