Aina - Herzorgasmus
ausgesprochen hatte, was sie wirklich dachte. Aber sie hatte sich damit nur Probleme eingehandelt!
»Nein«, sagte Rece jetzt, blieb stehen und öffnete eine Tür auf der linken Seite des Korridors. Dann reichte er ihr die Hand. »Du hast einen neuen Weg beschritten. Unverfälscht, ohne Schatten und ohne Hemmungen. Deinen Weg. Deine Schatten anzunehmen hat dich ganz werden lassen und deine Pole aufgelöst. Und was dabei übrig geblieben ist, ist dein wahres Selbst. Du bestehst nicht aus Polen, Aina. Du bist weder gut noch böse. Du bist reines Bewusstsein. Und dieses Bewusstsein will nur eins: Sich selbst wahrnehmen. Die Welt fühlen. Das, was auch ich wollte, als ich diesen Körper erschaffen habe. Ich wollte… fühlen.«
Aina hörte ihm aufmerksam zu, während sie durch einen weiteren Korridor gingen und war überwältigt von seiner Art die Welt und das Leben zu betrachten. Für ihn war das Leben eine Möglichkeit fühlen zu können. Etwas, das man ohne Körper nicht konnte. Allerdings hatte er sich mit der Schöpfung eines menschlichen Körpers auch die Möglichkeit geschaffen, positive Gefühle zu fühlen. Zuneigung, Wertschätzung, Dankbarkeit,Vertrauen, Glück… Wie verwirrend musste es für ein Wesen sein, das nur aus Bosheit bestand, Glück fühlen zu können? Langsam begann sie sein Verhalten zu verstehen. Er hasste sich selbst für seine Gefühle. Weil sie nicht zu ihm passten. Zu seinem Wesen. Genauso erging es Aina. Ihr natürliches Wesen, so glaubte sie, bestand aus Liebe. Doch, die Fähigkeit Wut, Groll und Hass fühlen zu können, war für sie ebenso verwirrend und inakzeptabel gewesen, wie für ihn. Aber, wenn sie nur aus reinem Bewusstsein bestand, ohne Gegensätze, und sie durch ihren Körper die Fähigkeit erlangt hatte, die Welt und das Leben in allen Facetten zu fühlen, war es dann nicht völlig in Ordnung, alles fühlen zu können? Licht und Schatten, Liebe und Hass, Gut und Böse. War es dann nicht völlig sinnlos, irgendwelche Gefühle abzulehnen, wenn man doch genau aus diesem Grund einen Körper hatte?
Er sah sie bei diesen Gedanken nachdenklich an. Sie glaubte, in seinem Gesicht eine Veränderung sehen zu können. Eine Veränderung seines Denkens über sich, über die Welt und über seine Existenz. Und in ihr fand genau dieselbe Veränderung statt. Sie entwickelten sich. Sie wussten noch nicht wohin, doch es fühlte sich richtig an. Aina jedoch machte es Angst. Denn sie wusste nicht, in was für einen Menschen sie sich verwandeln würde, wenn diese Entwicklung abgeschlossen war. Und was würde mit Rece passieren? Würde er aus ihrem Leben verschwinden, wenn er sich so sehr veränderte, dass er nicht mehr das Böse war? Sie spürte immer deutlicher, dass sie das nicht wollte. Er sollte bei ihr bleiben. Sie konnte sich ihr Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Er war ein Teil von ihr. Ihr Gegenpol. Durch ihn war sie ganz geworden. Nur ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie sich endlich akzeptieren konnte. Dass sie all die Schattenseiten in sich endlich annahm und nicht mehr bekämpfte. Und endlich verstand sie auch, warum er ihr vonAnfang an so vertraut gewesen war. Sie bildeten eine Einheit. Sie waren zwei Pole, die getrennt gewesen waren. Doch jetzt lösten sich diese Pole auf und es kam ihre Einheit zum Vorschein. Vielleicht waren sie schon immer eins gewesen. Schon vor ihrer Geburt, als sie noch nicht existiert hatten. Vielleicht waren sie einst ein Funke im Universum gewesen, der sich getrennt hatte. In Eis und Feuer, Licht und Schatten. Damit sie sich gegenseitig erkennen und erleben konnten. Damit sie sich finden konnten, um wieder zu verschmelzen.
Rece sah sie amüsiert über ihre Fantasien an. Doch sie erkannte deutlich, dass es ihm genauso ging. Und sie spürte, tief in ihrem Inneren, dass es genauso sein musste. Sie waren zwei Pole, die miteinander verschmolzen und eins wurden. Und niemand wusste, was durch diese Vereinigung geschehen würde. Vielleicht würden sie sich auflösen. Alle beide. Doch, das war ihr egal. Sie wollte nur bei ihm sein und ihn spüren. Und wenn es das letzte war, was sie in diesem Leben tat.
26
Frei
Ramon lehnte an einem Baum und blickte direkt auf das Haus, in dem Aina aufgewachsen war. Ihr Vater kochte gerade eine weitere Kanne Tee und unterhielt sich mit seiner Freundin Alva über seine Tochter. Er sah sie durch das Küchenfenster hin und her laufen. Und er hörte jedes Wort. Seine Sinne waren so geschärft, dass er sogar hören konnte,
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