Airborn 01 - Wolkenpanther
denen zischend das Hydrium aus den beschädigten Gaszellen im Innern der Hülle drang. Der Anblick schmerzte mich richtig.
Ich wickelte mein Seil an einen der vielen Sicherheitshaken, die sich über die gesamte Flanke des Schiffs zogen, und machte mich an die Arbeit. Mit dem Pinsel kleckste ich Leim auf die Hülle, presste ganz fest einen Flicken darauf und zählte bis fünf. Der Leim trocknete sehr schnell; man musste rasch arbeiten und Acht geben, dass alle Kanten dicht verschlossenen waren. Hydrium war ruhelos, die leichteste Substanz der Welt, und entwich sofort, wenn es einen Ausweg entdeckte. Kleistern, pressen, lauschen, weiterziehen. Ein Glücksgefühl stieg in mir auf, wenn das Zischen aufhörte oder zumindest schwächer wurde. Stück um Stück trug ich so dazu bei, das Schiff zu heilen. Jedes gerettete bisschen Hydrium half dabei, die Aurora in der Luft zu halten.
Im Innern waren die Segelmacher derweil hektisch damit beschäftigt, die eigentlichen Gaszellen zu reparieren. Sie trugen Atemmasken und Sauerstoffflaschen, damit sie nicht ohnmächtig wurden. Hydrium ist nicht giftig, aber es verdrängt sämtliche Atemluft und füllt einen Raum so schnell aus, dass man erstickt.
Ich rückte zu einem weiteren Riss vor, den die Propeller der Piraten hinterlassen hatten. Streifen zerfetzten Stoffs flatterten um das Loch, eine schreckliche Wunde wie von der Pranke eines Monsters. Warmer Mangoduft flutete über mich hinweg. Der Riss war eigentlich zu groß, um ihn zu flicken, aber ich wollte es dennoch versuchen. Nachdem ich fünf Flicken darauf geklebt hatte, war immer noch ein leises Zischen zu hören. Mir blieb keine Zeit, es besser zu machen, ich musste weiter. Überall, wo der Strahl meiner Lampe hinfiel, klafften noch mehr Löcher, und ich fragte mich, wie viel Hydrium wir wohl schon verloren hatten.
Auf einmal hörte ich von Ferne das Platschen von Wasser und schaute in die Tiefe. Noch mehr Wasserballast prallte klatschend auf die Meeresoberfläche. Das Meer! Wie hatte es nur so dicht herankommen können? Bestimmt hatten wir mittlerweile keinen Liter Ballast mehr an Bord. Der Kapitän hätte niemals so viel Wasser abgeworfen, wenn er nicht genau wüsste, dass …
Wir sanken!
Ein Windstoß traf das Schiff und die Aurora kippte zur Seite. Ich flog von der Schiffsseite weg und baumelte einen kurzen Moment lang frei an meiner Leine über dem Meer, bis sich die Aurora aufgerichtet hatte und ich wieder sanft gegen seine Flanke prallte. Ich hörte einen Schrei und sah mich um. Bruce Lunardi hing kopfüber in seinem Gurt und fuchtelte mit den Armen. Offensichtlich hatte er einen Salto gemacht. Er heulte und strampelte und versuchte sich aufzurichten, jedoch ohne Erfolg.
Ich seufzte. Dann stieß ich mich ab und schwang zu ihm hinüber. Auf halbem Weg befestigte ich meine Leine an einem neuen Haken, ehe ich mich wieder abstieß und mehr Seil gebend zu Lunardi hinüberpendelte. Meine Schuhe stemmten sich gegen die Hülle und ich hakte mich neben ihm fest.
»Nimm meine Hand und zieh dich hoch.«
Mit schmerzhaft festem Griff zog er sich nach oben, bis er wieder aufrecht saß.
»Danke«, murmelte er und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Offenbar hatte er sich übergeben.
Ohne ein weiteres Wort machte er sich wieder an die Arbeit. Ich warf einen Blick auf sein Flickwerk. Es war ausgezeichnet, viel ordentlicher als meines. Aber ich bezweifelte, dass er so viele Risse geflickt hatte wie ich – er war zu langsam.
Ich verabschiedete mich mit einem kurzen Nicken und schwang mich wieder zu meinem Platz zurück. Wie eine Spinne huschte ich weiter an der Flanke des Schiffs entlang: Kleistern, pressen, lauschen, kleistern, pressen, lauschen. Lauthals verlangte ich nach einem zweiten Eimer Leim. Die Löcher schienen kein Ende zu nehmen.
»Braves Mädchen«, sagte ich zu meinem Schiff, während ich einen weiteren Flicken auf seine Seite drückte. »Bald wirst du so gut wie neu sein. Wart's nur ab.«
»Komm zurück an Bord!«, rief mir jemand zu.
»Ich bin noch nicht fertig!«, schrie ich zurück.
»Egal! Komm zurück an Bord!«
Ich schaute nach unten und sah das Meer, dickflüssig und grau in der anbrechenden Dämmerung. Wir flogen so niedrig wie noch nie. Eine solche Höhe kannte ich sonst nur von einem Landeanflug. Hand um Hand zog ich mich wieder zum Rücken des Schiffs hinauf. Nachdem ich so lange leicht wie eine Feder am Seil gehangen hatte, kam mir mein Körper schwer wie ein steinerner Wasserspeier
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