Airborn 02 - Wolkenpiraten
getötet worden war. Die Seile mussten Hochspannungskabel sein, die sich irgendwie von der Elektroanlage des Schiffs losgerissen hatten. Doch als sie sich nahe der Ruderspitze hoch in die Luft wölbten, sah ich, woher sie stammten.
Das waren keine Kabel. Das waren Tentakel.
Hinter der Schiffsflosse bauschte sich eine riesige, krakenähnliche Kreatur auf. Der obere Teil des Körpers war fast durchsichtig, ein gekräuselter Sack, den man leicht für einen Wetterballon hätte halten können, wäre da nicht das grünblaue Bündel von Innereien in dem gallertartigen unteren Teil zu sehen gewesen. Von ihrer Unterseite hingen zahllose Tentakel, die aussahen wie Peitschenschnüre. Einige von ihnen saßen im Scharniergelenk des Ruders fest. Der Körper des Wesens schwoll an, sackte in sich zusammen und schwoll wieder an, als würde es atmen, während seine Tentakel sich gegen das Schiff stemmten und im vergeblichen Versuch, sich zu befreien, auf es einschlugen.
Ich schrie Kami eine Warnung zu, aber er hatte die Kreatur schon gesehen und zog sich hastig zurück. Ich tat dasselbe, so schnell ich konnte, um ihm für seinen Rückzug Platz zu machen und aus Angst vor der möglichen Reichweite dieser Tentakel. Nicht weniger als fünf peitschten nun um das Heck, zwei schwebten über uns mit zitternden Enden, als würden sie nach Beute schnüffeln.
»Pass auf!«, schrie ich.
Kami klinkte seine Sicherheitsleine aus, um schneller voranzukommen, und sprang. Die Tentakel schlugen hintereinander zu, der eine traf seine Waden, der andere verfehlte ihn. Mit einem Knall schoss wie ein Blitz ein Funke aus seinem Fuß. Mit schmerzverzerrtem Gesicht brach Kami zusammen, überschlug sich und rutschte langsam vom Schiffsrücken. Seine tauben Hände suchten nach Halt, doch sie waren zu schwach. Ich stürzte zu ihm, kam aber zu spät. Kami fiel und landete hart auf der Horizontalflosse des Schiffs. Voller Panik befürchtete ich, dass der Wind ihn von dort hinabwehen würde.
Sofort seilte ich mich zu ihm ab. Weit über mir schlug das Luftmonster weiter auf das Ruder ein, aber ich schien außerhalb der Reichweite seiner Tentakel zu sein. Nun erst machte sich bei mir die dünnere Luft bei zwölftausend Fuß bemerkbar. Ich musste schwer atmen und meine Muskeln wirkten wie aus Brei. Meine Sicherungsleine reichte nur die halbe Strecke zu Kami nach unten, weiter kam ich damit nicht. Also hakte ich sie aus. Vorsichtig kletterte ich nun weiter hinab, was nur möglich war, weil Slaters Schiff mit dem äußeren Alumirongitter überzogen war, was guten Halt für Hände und Füße bot. Ein Windstoß zerrte heftig an mir, und ich presste mich an das Schiff, bis er nachließ, dann kletterte ich weiter. Als ich die Flosse erreicht hatte, kroch ich zu Kami. Er hatte die Augen offen.
»Kannst du klettern?«, fragte ich.
»Ich spüre meine Füße nicht.«
Ich atmete tief aus.
»Ich mach eine Leine an dir fest. Dann kannst du die Hände benutzen und ich ziehe von oben.«
Er nickte erschöpft.
Ich nahm das Ende seiner Sicherungsleine, machte sie bei mir fest und kletterte, so schnell ich mich traute, am Schiffsrumpf nach oben. Auf halbem Weg packte ich das baumelnde Ende meiner eigenen Leine und machte die von Kami daran fest, der nun mit einer langen Leine direkt mit der Sicherungsschiene auf dem Schiffsrücken verbunden war. Sehr vorsichtig – denn nichts würde mich halten, wenn ich abrutschte – kletterte ich weiter und beobachtete die um sich schlagenden Tentakel der Kreatur. Erschöpft erreichte ich den Schiffsrücken. Ich überprüfte die Sicherungsleine gründlich und schlang sie zweimal um eine Verankerungswinde.
Dann kurbelte ich und hievte Kami hoch. Zum Glück war er nicht sehr schwer. Mit einem Auge achtete ich auf das krakenähnliche Monster, das sich in unserem Ruder verfangen hatte. Ich war zwar noch immer außer Reichweite, doch ich hatte Angst, dass es sich jeden Moment befreien könnte. Mit beiden Händen arbeitete ich an der Kurbel und achtete darauf, wie Kami weiterkam. Er versuchte zu helfen und sich selbst hochzuziehen, aber er war zu schwach, und als ich ihn schließlich neben mich gezerrt hatte, zitterte ich vor Anstrengung und war schweißgebadet.
Ich überlegte noch, wie ich ihn am besten zum Krähennest schaffen könnte, als Slater aus der Luke stieg. Er sah unsere hingekauerten Gestalten und eilte auf uns zu.
»Was ist passiert?«, brüllte er gegen den Wind. »Wo ist Dalkey?«
»Über Bord!«, schrie ich zurück. »Da hat
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