Airborn 02 - Wolkenpiraten
stehen.
»Ich überlege mir gerade, ob Grunel seine Schätzchen nicht lieber etwas näher bei sich haben wollte«, sagte Hal.
Der Türknauf ließ sich nicht drehen. Hal richtete die Pistole auf das Schlüsselloch und schoss. Die Tür ging auf. Es war völlig dunkel, doch gemeinsam ergaben unsere Lampen einen ordentlichen Scheinwerfer, und so gingen wir hinein. Es war, als träte man in die Eingangshalle eines Herrenhauses, nur dass die große, geschwungene Treppe fehlte. Doch alles sonst zeugte von höchster Kunstfertigkeit, von Luxus und vor allem von dem Geld, diese Sachen kaufen zu können. Perserteppiche veredelten den Hartholzboden, Ölgemälde in vergoldeten Rahmen hingen an den getäfelten Wänden. Große Torbögen führten zu Salons sowohl auf der Backbord- als auch auf der Steuerbordseite, und ich konnte den blassen Lichtschein sehen, der durch die vereisten Fenster und die zugezogenen Vorhänge drang. Im Schein unserer Lampen tauchten elegante, hochlehnige Sessel und ein Pianola auf. Ich erinnerte mich, dass Kate erzählt hatte, die Hyperion wäre speziell für Grunel gebaut worden, und da er der einzige Passagier war, standen diese luxuriösen Räume offensichtlich ganz alleine zu seiner Verfügung bereit.
Hal betrat einen Korridor, von dem mehrere Türen abgingen. Eine davon führte in den Servicebereich mit einem Speiseaufzug, der Grunels Mahlzeiten direkt aus der Küche darunter nach oben transportierte. Durch eine andere Tür gelangte man in eine äußerst geräumige Wäschekammer und durch eine dritte in ein viel kleineres Zimmer, in dem offensichtlich Grunels Diener geschlafen hatte. Das Bett war ordentlich gemacht. Von dem Mann selbst fehlte jede Spur. Bedrückt überlegte ich, wo wir ihn wohl finden würden. Vielleicht steif gefroren in irgendeiner Kammer.
Wir gingen zurück in die Eingangshalle und bogen von dort in den zweiten Korridor ein, der auf eine einzelne, geschlossene Tür zuführte, an der ein so eindrucksvoller Löwenkopf als Türklopfer hing, dass ich mich fast gedrängt fühlte, ihn um Erlaubnis zu fragen, eintreten zu dürfen.
»Müde?«, fragte Hal mich.
»Nein, mir geht’s gut.«
»Bist du sicher?« Er leuchtete mir prüfend ins Gesicht. Blinzelnd drehte ich den Kopf zur Seite.
»Ja, sicher.« Das war nicht gelogen.
»Nimm was Sauerstoff, wenn du brauchst.«
»Ich brauche keinen, danke.«
Hal stieß die Tür weit auf und betrat Grunels Schlafzimmer. Der Schein meiner Lampe flackerte über seidenbespannte Wände, über Stühle und Sofas, die mit Leder und Samt bezogen waren. Ich sah ein großes Bett mit vier hohen Pfosten und zurückgeschlagener Bettdecke. Der Anblick des leeren Betts ließ mich schaudern. Es bedeutete, dass Grunel sich irgendwo anders befand. Aber wo? Eine Wand wurde von einem riesigen Bücherregal eingenommen, in dem die gefrorenen Lederrücken glitzerten. Auf der Steuerbordseite waren die Vorhänge zugezogen. Dann erwischte der Strahl meiner Lampe eine Hand.
Ich blieb stehen und stocherte mit dem Lichtstrahl in der Dunkelheit herum.
Im roten Seidenschlafanzug und einem burgunderroten Schlafrock lag Theodore Grunel zurückgelehnt auf einer Chaiselongue. An den Füßen trug er Pantoffeln. Sein Kinn ruhte auf der Brust. Die Augen waren offen, nur ein Lid hing herunter. Es wirkte, als würde er den Raum ziemlich missbilligend betrachten. Er war kein großer Mann, eher untersetzt und kräftig gebaut, mit einem großen, kantigen Kopf, langen, buschigen Koteletten und einer hohen Stirn. Seine Nase war breit und wirkte etwas zerquetscht. Anders als bei dem Mann im Krähennest war seine Haut nicht von der Sonne verfärbt, sondern fahl und wächsern, mit Placken von Reif überzogen und nur leicht eingeschrumpft. Sogar tot sah er streitlustig aus, und ich hatte das Gefühl, er könnte gleich aufstehen und uns mit der Faust drohen.
»Da ist ja die alte Kröte«, murmelte Hal.
Er ging zu den Vorhängen, zog sie weit auf und ließ das blasse Sonnenlicht den Raum durchfluten. Es war ein sehr großer Raum, an den noch ein Ankleidezimmer angeschlossen war. Durch die offene Tür konnte ich sehen, dass es voller Schränke, Kommoden und Ablagen für Zylinder war, von denen er sehr viele zu haben schien.
»An die Arbeit«, sagte Hal. »Guck hinter und unter die Dinge, ich bin auf der Suche nach einem Safe oder Tresor.«
Er fing bei dem Bücherregal an und wischte Reihe für Reihe ledergebundener Bände auf den Boden. Es grauste mich, zu sehen, dass Bücher so
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