Airborn 02 - Wolkenpiraten
behandelt wurden, aber ich traute mich nicht, etwas zu sagen, denn ich konnte hinter Hals Überdrehtheit wilde Ungeduld und brodelnde Wut erkennen.
Ich fing bei einer Kommode auf der anderen Seite des Raums an, zog vorsichtig Schublade für Schublade auf, versuchte, so wenig wie möglich durcheinander zu bringen, und tastete jeweils die Rückseite nach Geheimfächern ab.
Wenn ich nichts fand, schob ich die Schublade wieder zurück. Die ganze Zeit spürte ich Grunels halb geschlossene Augen auf mich gerichtet.
»Wir spielen hier doch nicht Dienstmädchen.« Hal kam zu mir herüber. »Sogar Howard Carter hat ein paar Mauern einreißen müssen, um an das Grab des Pharao zu kommen! Und wir haben nicht alle Zeit der Welt. Fass an der anderen Seite an. Und jetzt!«
Zusammen warfen wir die schwere Kommode um. Sie krachte auf den Boden. Einen verborgenen Tresor fanden wir nicht dahinter.
»Das ist wie Einbrechen«, rutschte es mir heraus.
»Dein Gewissen hättest du ruhig in Paris zurücklassen können«, fuhr er mich an. »Ich will dir mal was sagen. Dieses Schiff gibt es gar nicht mehr. Nachdem es vor vierzig Jahren verschollen war, hatte man es als im Meer versunken aufgegeben. Weißt du, was das heißt? Grunels Familie hat reichlich von den Versicherungen kassiert, hat ab dem Moment jeden weiteren Anspruch auf das Schiff aufgegeben. Die Hyperion gehört niemandem sonst, nur uns. Begreif das endlich, Cruse. Alles hier gehört uns. Für die Toten kann ich nichts tun. Aber für die Lebenden kann das eine Menge bedeuten.«
Hal war überzeugend, das konnte ich nicht leugnen. Er war wie die strahlende Sonne und ich ein kleiner Planet, der sie ständig umkreiste, der einerseits ausbrechen und frei sein, andererseits aber auch dabeibleiben wollte.
Von der Chaiselongue blickte Grunel mich böse an.
»Der gefrostete Alte da drüben ist nicht gerade hilfreich«, sagte ich.
Hal lachte kurz, raffte eine Decke vom Bett und wollte sie über den steifen Körper werfen.
»Was ist das denn?«, sagte er und blickte genauer auf Grunels rechte Hand.
Zwischen den geballten Fingern des Toten erkannte ich den stumpfen Glanz von Gold.
Hal versuchte, Grunels Faust zu öffnen, doch die Finger waren wie aus Stahl. Irgendwie hatte es etwas Unanständiges an sich, wie er mit dem toten Mann kämpfte.
»Hal, lass doch«, sagte ich.
Er holte sein Stemmeisen aus dem Rucksack und ließ es hart auf Grunels Faust fallen. Ich zuckte zusammen, als Eis und die gefrorenen Knochen zersplitterten. Zurück blieb ein ausgezackter Stumpf und in Grunels Schoß eine goldene Taschenuhr. Hal griff schnell danach, betrachtete sie flüchtig und ließ den Deckel aufschnappen.
In der Innenseite des Deckels steckte das mit spinnwebartigen Rissen durchzogene Foto einer jungen Frau.
»Sieh mal einer an. Es scheint, als hätte der alte Grunel eine Liebschaft gehabt.« Hal lachte heiser auf. »Ich hatte auf etwas Nützlicheres gehofft, aber das ist ja wenigstens ein ganz nettes Spielzeug.« Er kratzte das Bild mit den Fingern heraus und ließ es auf den bereiften Teppich fallen.
Ich hob es auf und steckte es in meinen Rucksack. Ich fand es nicht richtig, es auf dem Boden herumliegen zu lassen. Ich mochte auch nicht auf Grunels zerschmetterte Hand schauen. Hal hob die Decke auf und warf sie über ihn.
»Besser?«, fragte er.
Ich nickte.
»Unser erstes Beutestück, Cruse. Da kommt noch mehr. An die Arbeit!«
Seite an Seite durchsuchten Hal und ich den Empfangssaal. Atemwolken stiegen vor unserem Gesicht auf. Ich durchwühlte Schubladen von Kommoden und Schränken, schlug Teppiche zurück und riss Bilder von den Wänden. Hals Worte hatten mich angefeuert, und nun empfand ich auch, wie aufregend es hier an Bord dieses aufgegebenen Schiffs war, wo es irgendwo genügend Gold gab, um mich reich zu machen. Meine Mutter würde ihr Haus bekommen und ich würde mir vielleicht eine eigene Wohnung in einer hübschen Pariser Straße kaufen. Und ein Luftschiff, eines, das ein kleines bisschen größer wäre als das von Hal. Und dann wäre ich nicht länger ein Junge, sondern ein Mann.
Ein schwaches Flüstern drang an mein Ohr und ich unterbrach meine Arbeit. Wir blickten uns an. Das Flüstern wurde noch lauter und klang so, als würde jemand zischend mit dem Finger auf uns zeigen und dabei Spucketröpfchen aus seinem Mund versprühen. Meine Nackenhaare stellten sich in panischer Angst auf. Hal griff nach seiner Pistole. Ich wirbelte herum, um diesen Todesboten ausfindig
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