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Airport-Klinik

Airport-Klinik

Titel: Airport-Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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meine neue Stelle. Man hat mir in Göppingen die Übernahme einer Chirurgischen Station angeboten. Und ich kann in voller Selbständigkeit arbeiten, was für mich besonders interessant ist. Ich wollte nächsten Montag dort hin. Zur Vorstellungs-Tour. Die Leute warten auf mich.«
    »Nun, angesichts der besonderen Umstände hat man doch sicher Verständnis? Das läßt sich doch verschieben?«
    »Verschieben läßt sich alles, Herr Professor. Bloß …«
    Er kam nicht weiter. Der kleine Lautsprecher auf Wollgiebels Schreibtisch knackte, und dann war die Stimme seiner Sekretärin zu hören: »Herr Professor! Es ist was ganz Wichtiges. Darf ich Sie einen Moment stören?«
    Wollgiebel drückte auf den Intercom-Schalter. »Was ist denn?«
    »Ein schreckliches Unglück am Flughafen, Herr Professor. Eine Groß-Katastrophe anscheinend. Da muß ein Flugzeug mitten im Gelände explodiert sein. Eine Bombe. Wir sollen uns bereithalten. Alle Kliniken sind alarmiert. Im Radio kommt gerade die Meldung durch.«
    Die beiden Ärzte sahen sich an. Wollgiebel lief ohne ein weiteres Wort zur Tür. Gräfe humpelte, so gut es ging, hinter ihm her und biß die Zähne zusammen, um die Schmerzen zu unterdrücken.
    Groß-Katastrophe? Was soll denn das?
    Die Sekretärin schob ihm einen Stuhl zu. Er setzte sich nicht. Mit vorgestrecktem Kopf und ungläubig aufgerissenen Augen lauschte er der Sprecherstimme aus dem Radiogerät:
    … HANDELT ES SICH UM EINE MASCHINE DER UNGARISCHEN LUFTLINIE MALEV, DIE VON DER KROATISCHEN REGIERUNG ZUM TRANSPORT VON HILFSGÜTERN IN DAS KRISENGEBIET VON BOSNIEN UND MONTE NEGRO GECHARTERT WORDEN WAR. NACH DEM UMFANG UND DER GEWALT DER EXPLOSION ZU URTEILEN, HATTE DAS FLUGZEUG JEDOCH NICHT NUR MEDIKAMENTE, SONDERN AUCH KRIEGSMATERIAL, VOR ALLEM SPRENGSTOFF AN BORD.
    DIE EXPLOSION TÖTETE AUF DER STELLE DIE VIERKÖPFIGE BESATZUNG UND DIE PASSAGIERE, UNTER DENEN SICH NICHT NUR KROATEN, SONDERN AUCH ZWEI ÄRZTE DER ORGANISATION ›MEDIZIN OHNE GRENZEN‹ BEFANDEN. SIE ZERSTÖRTE AUCH EINEN ZUFÄLLIG VORBEIKOMMENDEN OMNIBUS DER FRANKFURTER FLUGHAFEN-GESELLSCHAFT AG, IN DEM SICH NEUNUNDVIERZIG SCHÜLER DER GEWERBESCHULE HAMELN SOWIE DREI LEHRKRÄFTE DIESER SCHULE BEFANDEN. DIE ZAHL DER TODESOPFER UND VERLETZTEN UNTER DEN SCHÜLERN UND LEHRKRÄFTEN, DIE ZU EINER BESICHTIGUNGSTOUR …
    »Mein Gott«, flüsterte Wollgiebel, »lauter Kinder!«
    … IST NOCH NICHT BEKANNT. ALLE KRANKENHÄUSER UND KLINIKEN DES RHEIN-MAIN-GEBIETS SIND WEGEN DER KATASTROPHE IN ALARMBEREITSCHAFT GESETZT WORDEN. DIE FEUERWEHR HAT DEN BRAND BEREITS UNTER KONTROLLE. DIE EINSATZKRÄFTE DES ROTEN KREUZES UND DER MEDIZINISCHEN HILFSORGANISATIONEN …
    Der Radiosprecher redete weiter, und für Rolf Gräfe wurde jedes einzelne Wort zur Folter.
    »Ein Taxi!« schrie er.
    Die Frau hinter ihrem Schreibtisch starrte ihn verständnislos an.
    »Ein Taxi, verdammt nochmal! Haben Sie nicht gehört? Besorgen Sie mir sofort ein Taxi.«
    »Sie können doch nicht in diesem Zustand …«
    »Und ob ich kann! Na, los schon. Machen Sie doch zu.«
    »In solchen Situationen, wenn ein paar Dutzend unversorgter Schwerstverwundeter herumliegen und sie draußen immer mehr ankarren, möchtest du nichts, als erst mal davonrennen. Und da du das ja nicht kannst, hast du das Gefühl, unterzugehen. Aber das gibt sich schon, wenn sie dir den ersten auf den Tisch legen …«
    Das hatte Oberstabs-Arzt Jakob Hansen berichtet, Chef eines Front-Lazaretts in Stalingrad.
    Fritz Hansens Vater hatte nie viel vom Krieg erzählt. Er war ja auch bald nach seiner Entlassung aus russischer Gefangenschaft gestorben. Und Fritz hatte höflich zugehört; hatte auch versucht, sich das alles vorzustellen. Doch es war ihm nicht gelungen. Nun aber – oh ja! Nun sah er es. Und erinnerte sich an das, was sein Vater gesagt hatte. Erinnerte sich Wort um Wort:
    »In solchen Situationen schlägt die Stunde der Wahrheit. Dann weißt du, mit wem du es zu tun hast. Nicht nur bei den anderen, auch bei dir selbst. Da lernst du dich kennen, mein Junge … Das Wichtigste ist eiserne Ruhe. Ganz klar und eiskalt die Situation analysieren, die Fälle nach ihren Möglichkeiten einteilen und sich dran halten. Alle kannst du nicht retten. Und die Zeit, die du an einen Todgeweihten verschwendest, nimmst du dem, der vielleicht durchkommen könnte. Du mußt handeln und denken wie eine Maschine. Und das ist man ja dann auch – nichts als eine Maschine …«
    Nichts als eine Maschine?
    Was bedeutete das?
    Das Entsetzen

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