Airport-Klinik
Falle. Mit zitternden Beinen, keuchend, lehnte er sich gegen eine Kachelwand.
Da waren sie …
Irgendein braunhäutiger Mensch trocknete sich neben ihm hastig die Hände ab.
»Hau ab, Kanake!« hörte er.
Der Mann drückte sich an ihnen vorbei und verschwand. Thilo drehte sich um. Nie im Leben hatte er sich so einsam gefühlt.
Der erste, der auf ihn zukam, war das Schwein, der die Antenne am Alfa abgerissen hatte; und so, mit dem geschwollenen blauen Auge, war die Fratze noch widerlicher als am Waldstadion.
»Hören Sie mal«, keuchte Thilo, »wir können das doch regeln. Ich meine, ich kann doch bezahlen – falls irgendwelche Unkosten …«
»Du? Du zahlst nichts. Jetzt zahl ich, amigo …«
Etwas blitzte vor Thilos Augen auf, als die Faust heranflog. Er duckte sich und dachte im selben Sekundenbruchteil: Ein Schlagring … der hat einen Schlagring!
Er spürte den Schmerz an der Schulter. Versuchte noch mit der Linken abzuwehren. Diesmal traf er das Kinn, und er spürte den Schlag, als habe ihn ein Hammer getroffen. Jedes Gefühl, selbst der Schmerz erlosch. Thilo Reinartz brach in die Knie.
Und dann waren sie über ihm …
Krankenschwester Britte Happel und Hubert Lawinsky von der australischen Fluggesellschaft ›Quantas‹ saßen in der Nische des ›Öfchens‹, einer kleinen, gemütlichen Weinbeize in Frankfurt-Sachsenhausen. Das Essen hatten sie hinter sich; Britte spürte, wie der Wein ihr Gesicht glühen ließ, es war sogar angenehm; nein, sie hatte nichts dagegen, da waren seine Augen, grün wie ein Bergsee, jawohl, lächelnd, nicht drängend, eher abwartend und von derselben Farbe, vom selben Grün wie die Steine, die er ihr zeigte: Es waren fünf Türkise. Sie schmückten den schweren Silberreif, den er ohne jeden Kommentar gerade aus der Tasche der eleganten Leinenjacke gezogen und auf den Tisch gelegt hatte.
»Gefällt er dir?«
Sie nickte.
»Dann zeig mal, wie er dir steht. Probier doch an, komm!«
Er nahm ihre Hand, und sie spürte den Druck seiner Finger auf der Innenfläche. Dazu dieses Lächeln und die kühle Berührung des schweren Silbers am Gelenk.
»Passt. Wie gemacht für dich. Weißt du, in La Paz gibt's jede Menge Touristen-Kitsch. Meist fälschten sie sogar noch das Silber, nehmen einfach Blei und legen es in ein Bad. Aber dieses Ding hier ist wirklich von einem Künstler, einem alten Indio-Meister. Ich kenne ihn seit langem. Er macht die wunderschönsten Arbeiten.«
»Und für wen ist er?«
»Für dich.« – Ja. Augen wie Türkise! Und das Lächeln darin. Es war so verdammt gefährlich. Aber trotzdem: Es tat gut; nein, es steigerte die Erregung, die sie fühlte. Eine Spannung, die ihr neu und unbekannt war. Das Prickeln der Gefahr …
»Die Frau, der ich ihn schenken wollte«, lächelte er, »war auch blond. Blond und verheiratet. Sie hat mir eine Menge Geschichten erzählt. Kann man ihr nicht übel nehmen. Tun Frauen meistens. Und es ist auch ihr gutes Recht, doch ein bißchen Wahrheit sollte schon dabei sein …«
Eine innere Stimme warnte Britte Happel: Zieh den Armreif ab. Gib ihn zurück. Steck ihn dem Mann notfalls in seine schicke Jacke. Und dann sag ihm, er soll sich zum Teufel scheren, nach La Paz, Honolulu, Neu Dehli, Lima oder sonstwohin. Vor allem soll er dich mit seinen endlosen Aufschneider-Stories in Frieden lassen!
Stattdessen lächelte sie und der Armreif funkelte, und Hubert Lawinsky goß ihr noch ein Glas Wein ein …
Es war der letzte Eindruck, den Britte mit klarem Bewußtsein aufnahm.
Was anschließend geschah, blieb undeutlich wie ein Traum. Sie wußte nur, sie hatte eine Grenze überschritten und wollte nicht zurück. Die Kellnerin brachte die Rechnung und steckte, ohne mit der Wimper zu zucken, zehn Mark Trinkgeld ein. Zehn Mark! Dann die Taxifahrt. Wohin? Egal, alles egal …
Britte hielt die Augen geschlossen und genoß es, daß die langen, gebräunten erfahrenen Finger, die sie vorhin schon bewundert hatte, im Taxi ihren Nacken streichelten. Dann ein Hotel-Empfang. Und was für eine Halle: Schimmerndes Furnier, elegant gekleidete Leute, ein Portier mit rosa Bäckchen, der sie noch nicht einmal ansah, als er mit einem »Bitte, Herr Lawinsky« den Schlüssel über die Theke schob. Die schweigende Fahrt im Aufzug, das Sich-Anlächeln, der Puls im Zauber der Erwartung – und schließlich das Zimmer.
Es war ein großes Zimmer. Das Bett stand in der rechten hinteren Ecke, und der Boden war bedeckt von einem dichten, malvenfarbenen
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