Airport-Klinik
Britte, hat es dir nun gebracht? Den Aschengeschmack des Nachhers. Zweifel und Unsicherheit. Und auch so etwas wie einen geheimen Triumph.
Immer schon hatte sie von einem ›Abenteuer‹ geträumt. Nun hatte sie es sich geleistet. Na also!
Aber da war noch ein anderes Gefühl. Vorhin, bei der Operation, als sie diesen zerrissenen Leib gesehen hatte, das Blut, da war ihr zum ersten Mal seit langem wieder schlecht geworden. Sie hatte gefürchtet, sie müsse nun gleich umkippen. Was dies bedeutete, war ihr schnell klar geworden. Es ließ sich nicht mit einem einfachen ›na also‹ oder einem blöden Wort wie ›Abenteuer‹ zur Seite schieben. Da war etwas geschehen, das vieles, vielleicht alles änderte …
»Komm mal her!«
Rolf Gräfe hatte die Tür zum Verbandsraum aufgestoßen und winkte sie hinein. Da stand er nun; da waren die dunklen Augen, die ihr Gesicht durchforschten. Aber sie schienen ihr fremd. Flach vor Zorn.
»Jetzt sag mal: Was ist eigentlich mit dir los? Erst kommst du zu spät, und das auch noch in einem solchen Notfall. Und dann, dann …«
»Dann was? – Und du?«
»Mensch, Britte! Ich weiß ja, ich habe heute auch nicht die reifste Schau hingelegt. Ich hab mal wieder auf der Hindernisbahn einen Sturz gehabt. Du aber, du zittertest herum wie die letzte Anfängerin.«
»Ich? Ja, wieso denn …«
»Wieso denn, wieso denn? Das falsche Drainagerohr. Die falschen Klemmen. Als Fritz die Rippen-Schere brauchte und dann die Duval-Zange, da hast du es auch nicht kapiert.«
Ihr Mund war trocken. Die Schwäche hinderte sie, ihm all das zu sagen, was sie dachte. Daß es unfair war, ihr in dieser Situation die Schuld in die Schuhe schieben zu wollen. Daß nicht sie, sondern er es gewesen war, der versagt hatte. Und warum? Wie kam er dazu, ihr Vorwürfe zu machen? Ausgerechnet …
Sein Gesicht hatte sich entspannt: »Siehst ganz schön elend aus, Britte. So richtig blaß um die Nasenspitze.«
»Ich habe ja noch nicht mal gefrühstückt«, hörte sie sich sagen.
»Verschlafen?«
Wieder nickte sie und dachte: So kann man's auch nennen …
»Na dann«, grinste Dr. Rolf Gräfe und legte ihr begütigend die Hand auf den Unterarm. »In Seenot darf sich die Besatzung nicht in die Haare geraten. Das wird zu gefährlich … Also, komm schon, Mädchen! Gehen wir zum großen Fritz. Auf zur ersten Morgendusche!«
»Heute«, sagte Chefarzt Dr. Fritz Hansen, »heute habe ich wieder einmal erfahren, was das heißt: Fracksausen am Operationstisch. Aber die Ursache war nicht dieser arme, junge Kerl, der uns beinahe abgekratzt wäre – nein, ihr beide habt es mir beigebracht!«
Er hatte sich auf die Schreibtischkante gesetzt, die Hände hielt er locker überkreuzt, die hellen Augen schienen ganz ruhig. Doch sowohl Dr. Gräfe als auch Britte wußten gut genug, daß diese Ruhe gespielt war. Sie kannten ihn. Sie wußten, was die beiden roten Flecken auf seiner Stirn bedeuteten und was kommen würde, wenn er so leise, beinahe freundlich die Manöver-Kritik begann. Der große Zampano sprach, und die anderen hatten zuzuhören. Und ganz unvermittelt war es auch mit Hansens Ruhe vorbei.
Er stieß sich vom Schreibtisch ab und richtete sich in seiner ganzen Länge auf: »Ich habe euch beide hier reingerufen, obwohl das vielleicht gegen die Regeln der Klinik-Führung verstößt. Zuerst der Herr Kollege, dann die Schwester, nicht wahr? Aber wenn der liebe Herr Kollege und die Schwester auf demselben erbärmlichen Niveau arbeiten und obendrein auch noch miteinander liiert sind – geht mich zwar nichts an, aber so ist es doch, nicht wahr – dann knöpft man sie sich wohl am besten beide zusammen vor.«
»Also hör mal, Fritz, ich weiß wirklich nicht …«
»Was das damit zu tun hat? Sage ich dir noch. Aber zunächst mal zu Britte: Irgend sowas wie pünktlich zum Dienst kommen, steht wohl nicht mehr auf Ihrem Programm, Fräulein Happel? Oder wie seh ich das?«
»Herr Dr. Hansen, ich bin immer pünktlich zum Dienst gekommen. Das wissen Sie. In all den Monaten, seit ich hier arbeite, war es heute das erste Mal …«
»Richtig, Schwester. Und was war? Die totale Wüste. Fritz Wullemann hatte frei, die Toni gleichfalls. Daß sie zufällig trotzdem um diese Zeit hereinschneite, hat die Situation gerettet, denn die diensttuende Operations-Schwester Britte Happel war plötzlich auch nicht mehr aufzutreiben. Und an meiner Seite hatte ich einen Herrn, der mit seinen Fingern nicht zurecht kam, weil er die mal wieder angeknackst
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