Airport-Klinik
hat.«
»Ich habe …«
»Moment, Rolf! Ich bin noch immer bei Britte. Aber was ich ihr sagen muß, gilt jetzt auch für dich. Zum ersten Mal, hat sie gesagt. Sie sei zum ersten Mal zu spät gekommen. Ich ersuche euch beide, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in einem Beruf arbeiten, wo ein erstes Mal leicht zum letzten Mal werden kann. Dann nämlich, wenn irgendein armer Kerl wie dieser – wie hieß er noch? Roser, glaube ich. Ja, Roser – wenn also irgendein unschuldiger Mensch, der uns unter die Hände gerät, auf dem Tisch bleibt.«
»Du hast es ja verhindert.« Gräfes Stimme klang gehässig.
Hansen sah ihn an.
»Richtig. Ich. Denn du standest mir heute eher im Weg, Rolf. Und jetzt zeig mal …«
Ehe Rolf Gräfe es verhindern oder auch nur eine Bewegung machen konnte, hatte Hansen seine Hand erfaßt, riß sie hoch, drehte am Gelenk, tastete sie ab, um dann die Finger kurz und energisch zurückzubiegen.
Gräfe stöhnte auf. Er konnte es nicht verhindern. Seine Augen funkelten vor Schmerz und Zorn.
Hansen ließ die Hand fallen.
»Na, siehst du, hab ich's mir doch gedacht. Und wenn ich dir jetzt den Arm bewege, wirst du nochmals brüllen, weil auch das Schultergelenk etwas abbekommen hat. Du bist ein begabter Operateur, Rolf. Und es ist eine Schande, wie du mit dir selbst umgehst. Gestern, nicht wahr, gib's zu, gestern hat's dich wieder auf die Schnauze genommen?«
Gräfe schwieg.
»Genau wie das letzte Mal«, sagte Hansen bitter.
»Da war's der rechte Arm.« Gräfe grinste, aber er kam mit dieser Bemerkung an den Falschen. Britte beobachtete, wie die Schläfenadern des Chefs anschwollen und hätte jetzt am liebsten den Raum verlassen. Was sollte das alles? Wieso machte Hansen sie zum Zeugen dieser Auseinandersetzung? Warum legte er es darauf an, ihr zu zeigen, wie er seinen engsten Freund und Kollegen abkanzelte?
»Rolf, das ist jetzt nicht der Moment, witzig zu werden. Verflucht nochmal, du würdest wirklich besser dran tun, das was ich hier sage, nicht nur zur Kenntnis, sondern auch ernst zu nehmen. Ja, Himmelarsch, muß ich dir denn wirklich erklären, was nicht nur für dich auf dem Spiel steht, sondern für uns alle?«
»Fritz, nun hör doch mal zu …«
»Den Teufel werd ich! Wenn es hier einen gibt, der die Klappe zu halten und zuzuhören hat, dann bist du das jetzt. Ist dir eigentlich schon mal klar geworden, wo du hier sitzt? Hast du da schon mal einen Gedanken daran verschwendet?«
Hansen machte eine kurze, zornige Bewegung. Grünliches Oberlicht erhellte den Raum. An dem einzigen Fenster waren die Kunststoff-Lamellen herabgelassen, und das dicke Isolierglas dämpfte ohnehin jeden Laut – dennoch war es zu hören: das dumpfe, ferne Bienenkorbsummen vom Flugplatz her; manchmal leicht anschwellend, wenn draußen die Triebwerke beim Start aufbrüllten. Ein Geflecht von Geräuschen, genauso unaufdringlich wie unabweisbar – das Netz, in dem sie alle zappelten.
»Airport Frankfurt am Main!« Die Worte fielen wie Blei in die Stille. »Drehkreuz Europas – heißt es nicht so? Aber mal ganz abgesehen von dem, was sich diese Werbe-Fritzen aus den Fingern saugen: Wie die Realität aussieht, weißt du so gut wie ich. Vielleicht hast du sie vergessen oder verdrängt. Routine stumpft ab, zugegeben. Aber wenn ich jetzt davon rede, bin ich nicht irgendein Scheißer, der sich wichtig machen will. Ich verlange von dir, daß du dir mal wieder vor Augen führst, wozu wir da sind. Wenn's hier rund geht, Rolf, dann traben hundertzwanzigtausend und mehr Menschen an einem Tag über den Platz. Das entspricht der Bevölkerung einer mittleren deutschen Stadt. Aber die hocken nicht gemütlich irgendwo im Büro oder vor dem Fernseher und drehen Däumchen. Nein, aus der Streß-Perspektive betrachtet, befinden sie sich alle in einem Ausnahmezustand, und dann fallen die Infarkte ab, die Zusammenbrüche. Muß ich dir denn das sagen, Himmelarsch nochmal, ausgerechnet dir?«
Er ging um seinen Schreibtisch herum, riß die Schublade heraus, sah eine Zigarettenschachtel, griff danach, aber sie war leer. »Siehst du, soweit bin ich auch wieder. Ich zieh mir diese verdammten Sargnägel rein … Also, wie war das? Hundertzwanzigtausend. Und das sind noch lange nicht alle. Denn jetzt haben wir noch die Flughafen-Angestellten als zusätzliche Streß-Kandidaten, viele von ihnen in Risiko-Berufen mit hoher Unfallträchtigkeit – gerade wurde es uns ja wieder einmal bewiesen. Okay. Und für all diese Leute, für dieses ganze
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