Airport-Klinik
Teufel, sollte er auch nicht abkratzen. Körperwärme? Die Haut feucht und kalt, das schon, aber nicht die eines Toten. Aber kein Puls! Nichts zu spüren, gar nichts …
Am Arm eine Vene für die Spritze zu suchen, war zwecklos. Hier half nur der zentrale Zugang in eine der großen Körper-Venen – hier, die Subclavia – ja, sitzt!
Er hat noch gelebt … aber sicher, Evi. Was wir hier vorführen, ist eine Art Stafettenlauf gegen den Tod. Wir werden sehen, wer am Ende gewinnt.
Er war sich da nicht so sicher. Nein, gar nicht …
»Der Tubus. Fritze!«
»Adrenalin, Doktor?« fragte Wullemann.
Hansen nickte. Ein Ass, dieser alte Berliner. Man sollte den Wullemann zum ›Professor für Notfall-Versorgung‹ ernennen. Nur müßte er sich dann besser rasieren. Na prima, der Beatmungs-Tubus sitzt. Sauerstoff. Nun das Adrenalin …
Und es rührte sich noch immer nichts. Er mußte geatmet haben, wenn auch in Intervallen. Und jetzt? Kreislauf-Kollaps. Oder war das Herzstillstand?
Der Kasten hatte auf dem Chassis aufgesetzt, der Notfallwagen zog an. Endlich! Aber es dauerte zwei Minuten, bis wir am Eingang sind, dachte Hansen. Und noch einmal zwei Minuten, bis du den Mann auf dem Tisch hast. Mindestens … Und das ist zu lange, viel zu lange! Wullemann hatte das EKG schon angeschlossen und der Apparat ließ das Gemeinste erkennen, was er zu bieten hatte: die flache, nur leicht gekrümmte Linie einer Asystolis. Das Todeszeichen!
Er hat noch gelebt, Fritz …!
Ja, verdammt nochmal! Aber jetzt?
Wullemann hatte dieselbe vorwurfsvolle Verzweiflung im Blick, die er selber fühlte. Der Sauerstoffmangel setzte eine unverrückbare Grenze: Drei Minuten bis zum Gehirntod. Auch wenn der Körper es noch zehn Minuten länger schaffte, was nützte es, was änderte es?
Hansen nahm die Faust hoch. Eine Verzweiflungsmaßnahme, doch in diesem Lotterie-Spiel um Leben und Tod brachte selbst sie manchmal Treffer: der präkordiale Faustschlag, genau gezielt aus zwanzig Zentimeter Höhe in die Mitte des Brustbeins.
Keine Reaktion.
Er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat.
»Defibrillator, Doktor?«
»Klar. Los, gib her!«
Der Wagen schüttelte. »Verdammt nochmal! Kann der Idiot da vorne nicht aufpassen?«
Nun Stop. Die Tür wurde aufgerissen. Stimmen, weiße Kittel, aber Hansen schüttelte nur den Kopf: »Laßt uns in Ruhe!« Seine Fäuste umklammerten die Handgriffe der beiden kreisrunden Elektroden des Defibrillations-Gerätes, dessen Stromstoß das Herz wieder aktivieren konnte. Wullemann hatte die Spannungsanzeige auf 200 Joule Anfangsdosis gestellt.
»Jetzt!« befahl Hansen.
Der häßliche, grüne Strich blieb. »Nochmals, Doktor?«
»Erhöhen auf dreihundert!.«
»Dreihundert«, wiederholte Wullemann und drückte wieder den Schalter.
Die flache, grüne Linie am Monitor hatte sich leicht verändert, sie schien breiter, unregelmäßiger.
»Dreihundertsechzig. – Jetzt!«
Aber das Herz begann noch immer nicht zu arbeiten, und wenn Hansen je gegen die lähmende, ohnmächtige Verzweiflung gegenüber dem todbringenden Verstreichen der Zeit ankämpfen mußte, dann in diesem Augenblick.
»Adrenalin. Ein Milligramm. Und dazu Natriumbicarbonat, sonst wirkt das Adrenalin nicht …«
Wullemann hatte die Ampulle längst aus dem Etui gezogen und setzte sie nun rasch auf den Katheter.
»Nochmal dreihundertsechzig«, befahl Hansen, als er fertig war und betete: Lieber Gott … Nun komm schon, Himmelherrgott! … Komm doch!
Auch dieser neue Stromstoß brachte kein Resultat.
Unbarmherzig listete die Zeitanzeige am EKG-Gerät die Sekunden auf, summierte sie zur drohenden Katastrophe. Viele Chancen blieben nicht mehr. Wenn es jetzt nicht klappte, wenn der nächste Stoß wieder ins Leere ging, dann waren die drei Minuten fast verstrichen.
»Nochmals dreihundertsechzig, Wullemann …«
Der Stoß kam. Und – endlich, jawohl, Himmelarsch, endlich war der tödliche Bann der grausamen Linie auf dem Monitor gebrochen.
»Siehste, Doktor?« rief Fritz Wullemann. »Siehste! Na also …«
Schön sah's noch immer nicht aus: Ein unrhythmisches, gezacktes Zittern entstand auf dem Monitor.
»Kammerflimmern«, stöhnte Hansen zornig. »Noch immer.«
»Man soll nie undankbar sein, Doktor. Et bewegt sich wat.«
Und da hatte er recht: Das Herz, und damit der ganze blasse, unbewegliche Körper kämpfte weiter ums Überleben. Noch immer war das Herz nicht in der Lage, Gehirn und Organe mit dem lebensspendenden Sauerstoff zu versorgen,
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