Airport-Klinik
nur Rechnungen und Mahnungen.«
»Da ist noch 'n Mettbrötchen. Wülste das?«
Er schüttelte den Kopf.
»Bier ist keines mehr im Eisschrank. Brauchst gar nicht zu kucken.«
»Ich mach mir einen Tee und geh damit in die Werkstatt …«
Die Werkstatt befand sich einen Stock tiefer, im Anbau. Der Anbau ragte in den Hinterhof, in dem ein kümmerlicher Kirschbaum wuchs.
Karl Roser hatte den Tee in eine Thermosflasche gefüllt. Er hielt sie in der linken Hand, während er den Schlüssel zog und einen kurzen Blick auf das Schild warf, das er vor Jahren, nach seinem Ausscheiden aus dem Bund an die Tür montieren ließ:
KARL ROSER – ELEKTRISCHE SYSTEME UND MESSTECHNIK.
Das Schild war aus Messing, und da er es immer wieder polierte, glänzte es wie neu. Aber wer las es schon? Damals vor zehn Jahren, als er die Airport-Aufträge übernommen hatte, mußte er alle andere Kundschaft ablehnen. Dann hatten sie ihn abserviert – und nun, nun kam kein Schwein.
Na ja: Bald würde er keine Kundschaft mehr brauchen.
Er drückte auf den Schalter. Das Neonlicht zitterte in dem großen Raum auf und warf seinen kalten Schein auf Geräte, Werkbänke, Arbeitsplätze. Alles leer. Dort in der Ecke hatte sein Sohn Werner gesessen. Ein Poster hatte er über seinem Tisch angebracht, auf dem eine Jeans-Blondine zu sehen war, Busen und Oberkörper nackt, die Jeans schon halb offen. Was hatte es damals für einen Krach gegeben, als er verlangte: »Das Ding muß weg!«
»Du kommandierst mich sowieso nur rum«, hatte Werner protestiert. »Wenn du das auch noch durchsetzen willst, Papi, hau ich in den Sack! Das sag ich dir gleich, dann mach ich eine Fliege.«
Weg war er jetzt sowieso. Und wie es aussah, womöglich für immer …
Karl Roser stellte die Thermosflasche auf seinen Schreibtisch, goß sich eine Tasse ein, ging zu seinem alten Panzerschrank und holte die Schaltpläne raus. ›Streng geheim‹, versteht sich ja wohl von selbst. Als die Airport-Bauleitung ihn holte, vor zehn Jahren, da waren sie heilfroh gewesen, einen zusätzlichen, beim Bund ausgebildeten System-Techniker zu finden, der sich auf ihren Krempel verstand. So bekam er auch ohne weiteres den Sicherheitsausweis und die Pläne. Ein Satz Pläne konnte ja mal bei ihm hängen bleiben? Sie hatten es nicht einmal gemerkt.
Roser zündete seine Pfeife an und beugte sich über das Labyrinth der Linien und technischen Angaben.
Wo er die Zünder und Sprengkörper unterbringen würde, hatte er mit kleinen roten Kreuzen markiert. Nicht der große ›Bang‹ sollte es werden – nein, stufenweise sollte der Schrecken kommen. Schön langsam. Immer ein wenig wollte er die Schraube anziehen. Über Tage, Wochen, wenn's drauf ankam. Zuerst der Brief. Dann das Info-System ausschalten. Phase zwei: Klinik-Fahrzeuge. Phase drei: Frachtzentrum. Vier: Die Abflughalle … Schlag auf Schlag, jawohl. Effizient, ordentlich, sauber.
Die Pläne würde er zuvor vernichten müssen. Klar. Aber dazu hatte es noch Zeit …
Seufzend setzte er sich an den Computer, schaltete ihn ein und begann den ersten Brief zu tippen.
»Was heute passierte«, tippte Karl Roser, »war eine Warnung und soll Ihnen zeigen, daß ich es ernst meine …«
»Was hast du denn, Oskar? Fühlst du dich nicht gut?«
»Oh nein, mein Liebes. Es ist nichts. Wo bleiben denn nur die Koffer?«
»Da steht's doch, drüben an der Tafel: Kairo. LTU. Das sind wir.«
»Ach ja?«
Das Transportband setzte sich in Bewegung. Es war ja alles wirklich sehr praktisch. Da kam schon das erste Gepäckstück, irgend etwas schaukelte heran. Ein kleiner Korb war es.
»Meinst du, der Jürgen freut sich über den Teller?«
Es war ein herrlicher silberner Teller, und sie hatten ihn im Gepäck. Darauf standen sonderbare Schriftzeichen. Arabisch. Das sei ein Koran-Vers, hatte der Verkäufer im Bazar gesagt, und der Teller echt Silber. So ›echt Silber‹ konnte er allerdings wohl kaum sein, dazu war er viel zu billig gewesen.
»Oskar! Wir hätten dem Kleinen doch den Kamel-Sattel mitbringen sollen.« – Aber ach, der war einfach zu schwer gewesen. Es war überhaupt alles so viel und so verwirrend gewesen, die ganze Reise eigentlich – und doch so gut gemeint von den Kindern. So lieb, ihnen zur Goldenen Hochzeit eine Reise an den Nil zu schenken. Ja, der Nil: Palmen, Pyramiden, Assuan, die Königs-Gräber, sogar auf einem Dromedar waren sie geritten … Und all diese dunklen Menschen … nun ja, sie bettelten ein bißchen arg, aber lieb waren
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