Airport-Klinik
dort, Stiefmütterchen gab es. Narzissen und Tulpen. Jede Menge blühender Sträucher. Und er hatte sich die Blüten angekuckt und gefühlt, wie seine innere Ruhe zurückkehrte. Hier aber? Airport-Klinik – draußen vor der Tür hasteten die Streßgeplagten. Na gut, blieb die Hintertür: Dort konnte er im Fahrzeug-Hof eine Runde drehen zum fauchenden Heulen der Düsen und dem Donnern der Maschinen, die zum Start über die Pisten jagten …
Er nahm doch eine Tablette. Dies war der Tag der Kopfweh-Pillen.
Im Patienten-Trakt stand vor einer der Türen ein junger Mann in einem olivgrünen Freizeitanzug, blond, groß, schmal – eigentlich eher ein Junge … Ach ja, Hansen erinnerte sich: Der Ibiza-Fahrer, Karins Freund!
»Herr Doktor! Gut, daß Sie kommen. Ich muß doch mit Karin sprechen können. Unbedingt muß ich das. Aber die wollen mich nicht reinlassen.«
»Da haben die aber recht.«
»Ja, aber …«
»Na schön, Thomas, dann kommen Sie mal mit mir in mein Arbeitszimmer. Und dort werden Sie mir erzählen, was eigentlich los ist.«
»Aber ich …«
»Nichts. Kommen Sie schon mit!«
Und dann saß er auf dem Besucherstuhl, die Knie hochgezogen, die Finger im Schoß verschränkt, und ließ die Gelenke knacken. Sein Gesicht war noch immer unruhig und die Augen weit geöffnet. Graublaue Augen starrten Hansen fragend an, während er berichtete.
»Verstehen Sie, Herr Doktor? Karins Stiefmutter, die Vera, die ist doch keine Mutter! Dazu ist sie viel zu jung. Vierundzwanzig, gerade sieben Jahre älter. Dazu noch tierisch eifersüchtig. Und Karins richtige Mutter, die ist ja schon vor Jahren mit einem anderen nach Frankreich abgehauen. Was soll Karin denn da tun? Verstehen Sie, daß sie dann durchdreht?«
Hansen überlegte eine Antwort und erinnerte sich dabei, daß er sich selbst in den Jahren seiner Ehe ein Kind gewünscht hatte. Und daß er dann den Gedanken wieder verwarf – nicht bloß, weil er sich mit Ursula nur sehr begrenzt verstand, sondern da war ja auch der Beruf und die Furcht, es könnte dasselbe geschehen, was er ringsum bei Freunden und Kollegen beobachtete: Kinder, die mit Sprüchen bei der Stange gehalten und mit Geld oder Geschenken ruhiggestellt wurden. Denn nicht wahr: Man hat ja viel zu wenig Zeit! Der Chef, die Karriere, der Job! Man kommt ohnehin kaum um die Runden. Nein, für viel zu viele Kinder fiel in dieser Tretmühle nichts ab. Noch nicht einmal eine Erklärung …
Wie sollte es bei ihm anders sein können?
»Eine traurige, eine sehr traurige Geschichte«, sagte er und unterdrückte schon wieder den Wunsch nach einer Zigarette. »Und du meinst, Thomas – ah, Verzeihung … Sie meinen …«
»Sie können ruhig ›du‹ und Thomas zu mir sagen.«
»Und du meinst, daß es mit dieser Vera keine Verständigungsmöglichkeit geben wird? Keinerlei Basis, auf der man eine Beziehung aufbauen könnte?«
Thomas schüttelte den Kopf.
»Und warum nicht? Daß sie so jung ist, könnte auch dafürsprechen, meinst du nicht?«
»Manchmal klappt sowas schon. Aber die, die macht Karin ständig das schlimmste Theater und tobt rum, wenn sie sich mal einen Fummel von ihr nimmt und ihrer Meinung nach zu kess wird. Die macht sie ständig fertig.«
Hansen nickte.
»Deshalb ging's in der Schule mit Karin bergab«, fuhr Thomas fort. »Das ›Abi‹ schafft sie nie, zumindest nicht in Stade.«
»Wo denn sonst?«
Thomas zuckte die Schultern. »Was weiß ich? In einem Internat vielleicht. Aber das ist dem Alten zu teuer …«
Römer, dachte Hansen plötzlich. Bernhard Römer. Er war doch einer der Direktoren der Odenwald-Schule, und dieses Internat wäre genau das richtige, um ein Mädchen wie Karin wieder aufzufangen. Eine Schule, in der die Lehrkräfte Familienbindung aufbauen, und wo die jungen Menschen nicht nach irgendwelchen Zeugnisnoten, sondern nach ihrer Persönlichkeit beurteilt und ausgebildet werden. Und außerdem: Die Odenwald-Schule lag gar nicht so weit weg von hier, und man könnte dich vielleicht gleich ganz persönlich morgen … Aber die Idee laß besser fallen. Keine Zeit.
»Dann verstehe ich nicht«, sagte er langsam, »wieso der Vater ihr das Geld für eine Ibiza-Reise geschenkt hat?«
»Geschenkt? Nix schenken! Das hab doch alles ich finanziert. Ich wollte sie einfach mal raus haben. Ich lieb sie wirklich. Die Karin ist ein Spitzen-Mädchen. Und daß sie dann den Mut verlor und richtig depressiv wurde, das hängt ja nur mit diesem ewigen Theater zusammen. Das steckt nicht in
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