Airport-Klinik
erinnern. Nie würde sie das. Und das war in diesem Fall sehr gut.
»Karin, wir werden noch Röntgenaufnahmen machen müssen. Und dann wirst du schlafen, ganz lange schlafen – ja?«
Sie sah ihn wieder an. Das Flehen ihrer Augen war fast unerträglich.
»Hör zu, Karin«, begann Hansen, aber draußen waren Stimmen. Er hob den Kopf. Und da erschien auch schon Wullemann.
»Herr Doktor, wenn Sie hier fertig sind … Da iss eener im Fracht-Zentrum von der Bühne jesejelt. Ein offener Bruch. Schienbein oder sowat. Und mit dem Schädel stimmt's auch nich, bewußtlos iss er.«
»Bring ihn in den OP.«
Wieder wandte er sich dem weißen Mädchengesicht zu. »Siehst du, Karin: Es gibt noch viel schlimmere Dinge. Und er konnte noch nicht einmal was dafür …«
›Jan Puschinsky, 32 Jahre‹, stand auf der Karte, die der Schichtführer den Sanitätern ausgefüllt hatte. Ein Pole. Und schön sah's nicht aus mit Jan Puschinsky – nein, ziemlich schlimm stand es um ihn. Später würden ihm die Kollegen erzählen, wie es passierte. Wie beim Beladen der Container die Palette ausschwang und ihn wie einen Lappen von der Brücke wischte. Wie er fiel, zuerst im Gestänge hängen blieb, wieder fiel, auf die Stück-Waage und von dort auf den Gabelstapler – Später? Wenn es ein ›Später‹ für ihn gab. Wenn er durchkam …
Jetzt war er ein von Blutergüssen und Wunden entstellter, regloser Körper auf dem OP-Tisch. Dr. Olaf Honolka war da. Und Schwester Britte Happel, die ›eiserne Tina‹, die die anderen mit kurzen Worten umsichtig anwies. Ferner die Anästhesistin und Oberpfleger Fritz Wullemann. Für diesen Fall von Poli-Trauma, von Mehrfachverletzung, brauchte es ein großes Aufgebot.
Während sie den Patienten vorbereiteten und Plasma den Blutverlust ausglich; während der Sauerstoff, den die Anästhesistin fließen ließ, die Atmung sicherte, und während durch die Kanülen die schmerzbetäubenden, entspannenden und kreislaufstützenden Medikamente flossen, überlegte sich Hansen die Strategie, nach der er vorzugehen hatte. Die Schockbehandlung und die Reanimation liefen. Ein jüngerer Mann lag auf dem Tisch, ein Pole, und wie die Instrumente anzeigten, einer mit der Konstitution eines Ochsen.
Dennoch: Für diesen Fall brauchte es die Hochtechnologie, die Spezialisten-Schar eines Groß-Klinikums. Das stand fest. In Frage kam jetzt nur die erste, unaufschiebbare operative Versorgung. Olaf Honolka war dabei, an den offenen Wunden die Blutung der kleineren Gefäße zu stillen. Die Schwellung deutete auf eine Milz-Ruptur, doch die Milz-Kapsel schien nicht verletzt zu sein. Die Weiterbehandlung des verletzten Organs war Sache des Klinikums. – Weiter? Das rechte Bein: offener Schienbeinbruch. Die Knochensplitter ragten aus der blutenden Fleischwunde hervor. Ein Spiralbruch, ganz offensichtlich, dazu einer mit einem Keil. Ein Bruch, ähnlich wie Rolf Gräfe ihn erlitten hatte. Rolf … Er wurde den Gedanken an ihn nicht los: Ist doch Wahnsinn, was wir tun. Dieser Job ist der totale Frust …
Wahnsinn? Vielleicht. Aber jetzt könnte ich dich brauchen, Mann!
Und hier – das ganze Schultergelenk im Eimer, die Pfanne auch, und ein Hämatom dabei. Ein größeres Gefäß blutete noch.
»Das machen wir auf. Dazu brauche ich den Knochenhebel. Tina, den mit der kurzen Spitze.«
»Ja, den kurzen.«
»Und Olaf! Das Bein, da müssen wir reponieren. Übernimm du das. Und dann fixierst du mit der pneumatischen Schiene.«
»Okay. Mach ich.«
Die Arbeit begann. Es war eine verbissene, eine nervenzehrende Arbeit unter äußerster Anspannung. Ein zerstörtes Schultergelenk, Brüche am Schienbein, Rippenbruch und dazu noch eine Unterkiefer-Fraktur, Mundverletzungen …
Im Rotkreuz-Krankenhaus wartete bereits das Unfall-Team. Nach vierzig Minuten waren sie soweit, daß sie Jan Puschinsky für transportfähig erklären und in den Wagen zu seiner Fahrt in den nächsten OP schieben konnten …
Hansen wusch sich die Hände. Er fühlte sich todmüde, dabei war es erst vier, und der Zirkus würde erbarmungslos weitergehen. Hoffentlich brachten sie ihm nicht nochmal so ein armes Schwein auf den Tisch wie diesen Polen …
Unglaublich.
Er rieb sich die Schläfen, um den sirrenden, permanenten Schmerz zu beruhigen, der sich dort einnistete.
Evi wartet in ihrem Hotel? Muß weiter warten … Er erhob sich und blieb stehen: In Hannover hatte er nach ähnlichen Streß-Situationen einen Spaziergang durch den Garten gemacht. Flieder wuchs
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