Airport-Klinik
seinen Leuten Rabe und Scholz.
Der Himmel hatte sich zu tiefem Grau verdüstert. Gewaltige, fahle Wolkenberge schoben sich über Hochspannungsleitungen und Gebäude. Die fröhlichen Farben der Luftfahrt-Gesellschaften an den Leitwerken, das strahlende Silber der großen Maschinen – es wirkte jäh schmutzig und stumpf. Auf den Besucher-Terrassen rannten letzte einsame Gestalten, nach vorn gebeugt, die Hüte festhaltend, in den Schutz des Gebäudes.
Die Staubpartikel, die von den Böen gegen Brunners Gesicht geschleudert wurden, brannten wie Nadelstiche. Und dazu noch das verdammte, schmerzhafte Tuckern in seinem geschwollenen Finger, die Stiche in seinem Brustkorb …
Asylanten-Abschiebung! – Mein Gott, wie er diese Aufträge haßte! Und jetzt auch noch dieses Scheiß-Wetter.
Asylanten? Aus allen Ländern hatten sie die schon hier gehabt. Indonesier, Libanesen, Palästinenser, Südamerikaner, Inder, Yugos, Tschechen, Kubaner. In letzter Zeit sogar Russen und Ukrainer.
Heute war es also ein ›Bimbo‹, um den es ging. Das hatten sie durchgegeben. Ein Afrikaner aus Nigeria …
Was macht man mit einem Nigerianer, der ausrastete? dachte Brunner, während die Sohlen seiner Schuhe durch Wasserströme platschten und der Regen ihm den Nacken peitschte.
»Das ist drüben bei B-42!« rief einer von der Streife. »Gleich unter der Transit-Halle, in der Nähe des Bus-Transfers.«
Es war schon nicht mehr Regen – Hagel war das! Ein Nigerianer im Hagel … Tausende von armen Schweinen gab's, die wie Postpakete aus dem D-Mark- und Speck-Paradies ins Elend zurückbefördert wurden.
Aber auch einer, dachte Brunner, der uns nicht länger auf der Tasche liegen wird …
Wie man's auch nahm, ein Scheiß-Job blieb's. Sollten doch die Ober-Stempler mit ihren Bürokraten-Löchern die Leute in die Flugzeuge packen! Aber die machten sich den Arsch nicht naß.
»Mehr rechts! Zum Bus-Transfer!« Rabe mußte brüllen, und trotzdem konnte sich seine Stimme in dem Gewitteraufruhr kaum behaupten. Scholz, der zweite Mann der Streife, rannte voraus und verschwand im Regen.
»Der Nigerianer hat dem Polizisten einfach die Pistole abgenommen?« schrie Brunner und war schon ziemlich außer Atem. »Wie hat er das geschafft?«
»Keine Ahnung, Chef! Muß 'ne ganz schöne Flasche gewesen sein, der Kollege.«
»Na, wir werden ja sehen. Der ganze Bockmist geht uns sowieso nichts an. Wir sind Werkschutz, und das ist Polizei-Sache. Was heißt denn hier überhaupt Verstärkung? Wozu brauchen die uns?«
»Da fragen Sie mich zuviel, Chef!« schrie Rabe durch den Aufruhr zurück. »Geht's noch?«
»Muß ja!«
Ein Blitz, ein einziges blauweißes Feuergeäder überzog den Himmel. Nun der Donner – und schon kam ein neuer Regenschauer. Und wie!
Das war ein Regen, wie er ihn mit den Stammesbrüdern in Zaranda beim Antilopen-Tanz getanzt hatte, bis der Himmel endlich ein Einsehen hatte und seine Wolken schickte …
Namdi hatte sich in die hinterste Ecke des blauen Lastwagens gedrückt. Hagel knallte jetzt auf die Plane. Der Nigerianer saß auf einer Kiste. Nach der Aufschrift handelte es sich um einen Werkzeugkasten. Werkzeuge für was? – Das war nicht wichtig. Nichts war wichtig. Nur das Ding in seiner Hand, die Pistole, war wichtig! Eine 9-mm-Automatik mit einem Zwölfer-Magazin.
Namdi kannte sich damit aus. Ehe ihn die frommen ›padres‹ nach Kano in die Ingenieurs-Schule geschickt hatten, war er zum Militär befohlen worden. Aber dort schmissen sie ihn bald wieder raus, weil er zum Stamm der Ibos gehörte. Auch die Schule mußte er vor der Prüfung verlassen. Und dann hatte im Hafen von Lagos seine große Flucht als blinder Passagier begonnen. Neue Häfen, Gendarmen, manchmal Gefängnis. Dann Spanien, wo er mit seinem Vetter Schmuck auf den Landmärkten verkaufte. Und wieder weiter, denn die Polizei saß ihm im Nacken: Frankreich, die Schweiz. Schließlich Deutschland, von dem sie alle träumten und das dem Nigerianer Namdi für zwei lange, ruhige Jahre wie eine Burg erschien. Er hatte Anna getroffen. Sie nahm ihn auf, und sie liebte ihn, und alles schien wunderschön …
Bis sie sagte: »Sie haben deinen Antrag endgültig abgelehnt. Sie werden dich abholen, Namdi. Ich kann's auch nicht ändern …«
Letzte Woche war das, in ihrer kleinen Wohnung in Mannheim. Er hatte es nicht geglaubt, konnte es nicht glauben.
Aber sie kamen. Und dort drüben wartete das Flugzeug nach Lagos. Und wartete noch immer. Die anderen saßen schon drin, und
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