Airport-Klinik
die Tür auf. Es war wirklich Hansen, die Haare klatschnaß, so daß sie ganz dunkel und glatt um seinen Kopf lagen. Im Gesicht ein halb betretenes, halb munteres Lachen.
»Herr Doktor!«
»Jawohl. Persönlich. Staunste – was, Mädchen?«
Britte schnürte den Gürtel des Bademantels eng um die Taille. »Ich … ich bin gerade erst aufgestanden … Ich wollte ein bißchen schlafen. Sie wissen ja, wie das so ist an den freien Tagen. Und außerdem dieses schreckliche Gewitter.«
»Kann man sagen: Schreckliches Gewitter. Der ganze Tag war's.«
Hansen blickte an ihrer Schulter vorbei in den Korridor. »Hübsch hast du's hier. Prima Tapete. So lustig.«
Sie nickte.
»Darf ich reinkommen?«
Sie trat zögernd zwei Schritte zurück. »Ich bin ein bißchen … na, ich bin noch gar nicht so richtig auf der Welt. Außerdem seh' ich aus wie 'ne Vogelscheuche.«
»Du? Kannst du ja gar nicht.« Hansen ging weiter, ging an ihr vorbei, streckte den Kopf ins Wohnzimmer, dann in die geöffnete Küchentür, drehte sich um und zeigte plötzlich ein betretenes, ernstes Gesicht. Das Gesicht eines Menschen, dem zu Bewußtsein kommt, daß er sich im Grunde unmöglich benimmt.
»Ich stör dich?«
»Aber nein.«
»Komm, lassen wir die Floskeln. Natürlich störe ich, und du kannst mich auch rauswerfen. Weißt du: Ich wollte einfach mal nach dir schauen. Ich hatte die Idee, daß es vielleicht ganz gut sein könnte.«
Sie sah ihn nur an. Sie fühlte schon wieder, wie diese elenden Tränen in ihre Augen zu steigen versuchten.
»Ich hab mir auch frei genommen. Evi ist in Houston steckengeblieben. Da sagte ich mir: Was willst du zu Hause in deiner Wohnung? Warum fährst du nicht zum Abendessen mal nach Sachsenhausen? Da wohnt doch Britte, in der Schongauerstraße. Und dort, gleich um die Ecke, ist ja mein Lieblingsgrieche. Also schaust du bei ihr vorbei und fragst, ob sie nicht mitkommen will.«
Sie blieb noch immer stumm.
»Na, was hältst du davon?«
Er duzte sie die ganze Zeit. Das tat er normalerweise nie; nur bei der Arbeit. Warum eigentlich jetzt? Nicht aus Vorgesetztenarroganz, dazu war er nicht der Typ.
Die Tränen drängten aus ihren Augen, und sie konnte nicht mehr dagegen ankämpfen.
Sie drehte sich um und wollte in ihr Zimmer, blieb aber dann doch stehen, lehnte sich an die Wand und sagte: »Ich bin hysterisch, Doktor. Ich weiß.«
»Es gibt für alles Gründe, Britte. Das hat mit Hysterie nichts zu tun.«
»Ja … Ich bin deshalb hysterisch geworden, weil's noch jemanden gibt, der sich über mich Gedanken macht.«
»Aber Mädchen …«
»Und weil Sie das sind.«
»Sei nicht ungerecht, Britte! Nicht nur ich. Auch Fritz Wullemann hat mir gesagt, wir müssen uns um dich kümmern. Und wenn du nichts dagegen hast …«
Nun schluchzte sie, preßte die Hände gegen die Augenballen, als könne sie alles zurückdrängen, was sie quälte.
»Britte«, sagte er weich. »Ich geh jetzt runter ins ›Athen‹. Und dort warte ich auf dich. Die haben einen prima Retsina. Und Quarktaschen. Und irgendso'n Zeug, das man in Weinblätter einwickelt. Ich warte dort. Und du fängst jetzt nicht damit an, deine Haare zu waschen und dich sonst irgendwie aufzumachen. Du kannst ja diesen Zopf flechten, das ja. Der steht dir immer so gut. Und dann kommst du einfach so. – Abgemacht?«
Sie nickte.
»Das ist ja nicht zu fassen! Der wollte mit der Schere deine Augen …?«
Britte nickte. Doch jetzt, wo sie das ungläubige Gesicht Hansens sah, wurde auch ihr diese Szene vollkommen unwirklich. Radonic, Hubert Lawinsky … in ihrem Bewußtsein wurden sie Figuren aus einem Horrorfilm, waren keine Menschen aus Fleisch und Blut mehr.
»Ein Sadist«, stöhnte Hansen.
»Ich weiß das nicht so genau, Herr Doktor.«
»Nein? Aber er hat …«
»Er hat vielleicht nur eine Schau abgezogen, denke ich manchmal. Denn für ihn war das alles nichts als eine Art Routine.«
»Na, um Gottes willen …«
»Routine, die zu seinem Job gehört, meine ich. Er wollte wissen, wo Lawinsky steckt, weil der elftausend Dollar von dem südamerikanischen Mafia-Geld geklaut hatte. Da ich es diesem Radonic nicht sagte, wollte er es aus mir herausquetschen. Mit seinen Mitteln. Er war nun mal ein Professioneller, ein Mafioso oder sowas – obwohl man die sich ja immer ganz anders vorstellt. Der sah eigentlich eher aus wie ein verfetteter Musik-Professor. Aber er wußte, was er tat. Das wußte er ganz genau. Er hat mir sogar noch zum Abschied gute Ratschläge gegeben.
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