Akasha 03 - Das Exil der Messianer
mehrere Jahrhunderte langen Lebens auf charakterliche Zerrüttung reduzierte, auf egoistischen Zorn, den Willen, um jeden Preis zu überleben, ganz gleich, was in der Welt ringsum geschah. Sie stolperte über einen Hybriden, der drei Dutzend Stacheln aneinanderrieb, offenbar an einem akuten Lachkrampf litt und Anstalten machte, ihr seine Hohldorne in die Beine zu bohren, und schließlich erreichte Djamenah die kleine Gasse, lehnte sich kurz an die Mauer eines Gebäudes, schnappte nach Luft – es war heiß in diesem Habitat, und die infolge der enorm hohen Luftfeuchtigkeit entstehende Schwüle trieb ihr Schweiß aus den Poren – und schwankte weiter. Hinter ihr blieb die Menge der Feiernden zurück, und mit jeder weiteren Hinrichtung wurde der Jubel der Masse noch lauter.
Djamenah zwinkerte mehrmals, als die Konturen der Umgebung vor ihren Augen verschwammen, und ihre Schwäche glich einem Gewicht, das sich auf ihre Schultern senkte, sie aufs Pflaster niederzudrücken drohte.
An der Wand leuchteten phosphoreszierende Schriftzüge.
KÄMPFT GEGEN DAS JOCH DES KÜNSTLICHEN GLÜCKS. KÄMPFT GEGEN DEN MEGALORD UND SEINE SCHERGEN. Darunter das Faustsymbol des Widerstandes. Etwas weiter entfernt, in bereits verblichener Farbe: WANN ERRINGEN WIR ENDLICH DIE FREIHEIT ZURÜCK? Djamenah verstand allmählich. Künstliches Glück: eine Tyrannei ganz besonderer Art, unter der die Bevölkerung dieses Habitats litt – und es gab auch Widerstand, Menschen und andere intelligente Wesen, die kämpften. Und in der Hinrichtungsschale starben.
Der Verfolger kam näher. Djamenah konnte jetzt seine Emanationen spüren wie einen düsteren Schatten vor hellem Licht, wie eine mentale Spinnwebe mit klebrigen Fäden. Trotz der Schwäche setzte sie sich wieder in Bewegung, stolperte weiter, fort von dem psychischen Schemen, in dessen Gegenwart sie das Mandala der Hoffnung fast vergaß, fort von der Gefahr eines unmittelbaren Todes, die sie so entsetzte. Sie taumelte an den Wänden der Gebäude entlang, blickte durch offene Fenster in kärgliche kleine Wohneinheiten, stellte fest, daß die Pracht der Stadt nur eine Illusion war, sich allein auf die Fassaden der Häuser und Villen beschränkte, hinter denen sich in Wirklichkeit Armut verbarg ...
Die Gärten, Parks und grünen Terrassen: größtenteils handelte es sich dabei nur um geschickte holografische Projektionen, die vermutlich dazu gedacht waren, Besuchern vorzugaukeln, das Glück der Bewohner dieses Habitats habe eine reale Grundlage.
Sie vernahm das Geräusch von Schritten.
Djamenah eilte weiter, bis sie am Ende der Gasse auf eine hohe, glatte Mauer stieß, die keine Möglichkeit bot, um sie zu überklettern. Sie sah sich um, kehrte einige Meter weit zurück und preßte sich in eine schmale Wandnische. Irgendwo vernahm sie trotz des tausendstimmigen Jubels der Menge die kratzige Stimme eines Biotikers, der jemanden aufforderte, sich auszuweisen – Djamenah war auf dem Weg in die Stadt mehrmals kontrolliert worden –, aber sie mißachtete die Laute, hob einen Stein auf. Das Schlurfen kam näher.
Sie schlug zu, als sich etwas in ihr Blickfeld schob. Der Stein traf die helmartige Vorwölbung eines dicken Ökoanzugs, seine scharfen Kanten zerrissen das Schutzgewebe, so daß trübe Flüssigkeit aus den Isoschichten sickerte. Eine Sprachprozessorstimme quiekte und grunzte.
»Gelobt seien der Megalord, Seine Güte und Gnade und Ekstatische Barmherzigkeit!« johlte es aus den Wolken-Lautsprechern. »Die Messianermörderin ist hier!«
Djamenah starrte den Alien an, der vor der Wandnische zu Boden gesunken war; sein Leib zuckte und bebte. Nirgends sah sie das zinnoberrote Leuchten eines Rezeptororgans; das war nicht der Verfolger, der es auf sie abgesehen hatte, nur ein Besucher, ein intelligentes Geschöpf mit Gefühlen, mit Wünschen, Hoffnungen und Ängsten, wie fast alle Wesen.
»Du bist es nicht mehr wert, Ciristin genannt zu werden!«
Djamenah ließ den Stein fallen und richtete sich auf. Die Sprachprozessorstimme des Alien schwieg, der Riß im Ökoanzug schloß sich. Der unförmige Leib zuckte noch. Vielleicht , dachte sie, wird er nicht sterben.
Sie drehte den Kopf. Einige Meter entfernt stand der Cieco mit dem zinnoberroten Wahrnehmungsorgan, dicht neben einem der elektronischen Augen, die in das schmutzige Pflaster der Gasse eingelassen waren. Der Lauf der stabförmigen Waffe, mit der ihr Verfolger im Habitat der Drandina und Multidimensionsmechaniker auf sie geschossen
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