Akte Atlantis
irgendwie kommt er mir bekannt vor.«
»Wurschtegal«, erwiderte Giordino.
»Hoffentlich habe ich mich nicht in die Nesseln gesetzt, als ich ihm versprochen habe, dass er seine Karre im gleichen Zustand zurückbekommt, wie er sie uns geliehen hat.«
»Wenn sie ein paar Kratzer abkriegt, muss er halt Admiral Sandecker die Rechnung schicken.«
»Kannst du mir den Kurs angeben?«, fragte Pitt.
»Wo ist dein GPS-Gerät?«
»Hab ich in der Eile vergessen. Außerdem gab’s 1940 noch kein Satelliten-Ortungssystem.«
»Fahr einfach geradeaus«, sagte Giordino und deutete in die Ferne.
Pitt zog die Augenbrauen hoch. »Mehr fällt dir dazu nicht ein?«
»Gegen gutes Augenmaß kommt kein Kompass an.«
»Deine Einstellung spottet mal wieder jeder Vernunft.«
»Was glaubst du, wie lange wir brauchen, bis wir dort sind?«, fragte Giordino.
»Hundert Kilometer sind es in etwa, und die Karre schafft rund dreißig Kilometer die Stunde«, murmelte Pitt. »Drei Stunden, wenn uns kein Hindernis in die Quere kommt, das wir umfahren müssen. Ich hoffe nur, dass wir vor dem Kommandotrupp dort sind. Ehe Karl Wolf merkt, dass er angegriffen wird und möglicherweise vorzeitig das Schelfeis absprengen lässt.«
»Ich habe das dumpfe Gefühl, dass wir uns diesmal nicht so einfach reinschleichen können wie auf der Werft.«
»Ich hoffe, du irrst dich, weil es nämlich einer Menge Menschen ziemlich dreckig geht, wenn wir es nicht schaffen.«
38
Grell und gleißend spiegelte sich das Sonnenlicht unter dem azurblauen Himmel auf dem kristallhart gefrorenen Boden, als der schwere Snow Cruiser durch die eisige Landschaft kroch wie ein Käfer über ein zerwühltes weißes Bettlaken. Ein feiner Schleier aus aufgewirbeltem Schnee hüllte das Fahrzeug ein, dessen Dieselmotoren dünne blaue Qualmwolken ausstießen.
Knirschend rollten die mächtigen Räder über das Eis, aber sie griffen jetzt und drehten nicht mehr durch, nachdem von Hand ein tieferes Profil in die Reifen gefräst worden war. Mühelos, geradezu majestätisch schob es sich voran, wie es sich die Leute vorgestellt hatten, die es einst gebaut hatten, aber nicht mehr miterleben durften, wie es die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllte.
Pitt saß aufrecht auf dem bequemen Fahrersitz, hielt mit beiden Händen das große Buslenkrad fest und steuerte den Cruiser geradewegs auf eine Bergkette zu, die am Horizont aufragte. Er trug eine dunkle, verspiegelte Sonnenbrille, die ihn vor Schneeblindheit schützen sollte, eine der großen Gefahren in arktischen Gefilden.
Verursacht wird sie durch kurzwellige ultraviolette Strahlen, die bei der Spiegelung des Sonnenlichts auf dem gleißenden Boden entstehen und zu einer Entzündung der Bindehaut führen.
Sie kündigt sich durch eine leichte Reizung des Auges an, so als wäre einem Sand hineingeraten, gefolgt von einer Erblindung, die bis zu vier Tage andauern kann.
Vom Frost drohte indes keine Gefahr, da die Heizung des Snow Cruisers für beachtliche achtzehn Grad im Führerhaus sorgte. Lästig war lediglich die Eisschicht, die sich ständig auf der Windschutzscheibe und den Seitenfenstern bildete, ohne dass Lüftung und Gebläse viel dagegen ausrichten konnten. Pitt trug beim Fahren nur einen irischen Wollpullover, hatte aber seinen Polaranzug griffbereit neben sich liegen, damit er notfalls sofort aussteigen konnte. Im Augenblick herrschte zwar herrliches Wetter, aber er wusste aus eigener Erfahrung, wie schnell man in Lebensgefahr geraten konnte, wenn es unverhofft umschlug.
Über hundertfünfzig Todesopfer hatte die Erforschung der Antarktis bislang gefordert, seit Carstens Borchgrevink, ein Seemann auf einem norwegischen Walfangschiff, 1895 als erster Mensch den sechsten Kontinent betreten hatte. Die meisten waren an der Kälte zu Grunde gegangen, wie Captain Robert Falcon Scott, der mitsamt seinen Begleitern auf dem Rückmarsch vom Südpol erfroren war. Andere hatten sich verirrt und waren ziellos in den Tod gewandert. Viele waren bei Flugzeugabstürzen und anderen Unglücksfällen ums Leben gekommen.
Pitt hatte nicht die geringste Lust, ihr Schicksal zu teilen – weder jetzt noch später. Schließlich wollten er und Giordino verhindern, dass die Wolfs den Weltuntergang entfesselten.
Aber zunächst musste er den Snow Cruiser über das Schelfeis steuern und zusehen, dass sie so schnell wie möglich zu dem Werksgelände kamen.
»Wie sieht’s mit dem Kurs aus?«, rief er Giordino zu, der ein Stück tiefer und etwas weiter
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