Akte Atlantis
Öffnung.
Er stand auf, klopfte sich ab und entfernte auf der anderen Seite noch ein paar Geröllbrocken, damit Giordino mit seinen breiten Schultern leichter hindurchpasste. Einen Moment lang zögerten sie beide, richteten die Strahlen ihrer Taschenlampen in die vor ihnen liegende Kammer und bemerkten einen eigentümlichen Widerschein.
»Ich bin froh, dass ich auf dich gehört habe«, sagte Giordino, als er langsam weiterging.
»Ich bin guter Dinge. Ich wette zehn Dollar, dass uns niemand zuvorgekommen ist.«
»Misstrauisch, wie ich nun mal bin, nehm ich die Wette glatt an.«
Ganz wohl war ihnen nicht zu Mute, und ihre Beklommenheit nahm noch zu, als sie in die zweite Kammer traten und den Lampenschein über Wände und Boden wandern ließen. Hier gab es keine Inschriften, aber sie erstarrten regelrecht ob des unverhofften Anblicks, der sich ihnen im weißgelben Lichtstrahl ihrer Taschenlampen bot, schauten geradezu ehrfürchtig auf die zwanzig mumifizierten Gestalten, die aufrecht auf steinernen, aus dem Fels gehauenen Stühlen saßen. Die beiden, deren Gesichter dem Eingang zugewandt waren, thronten auf einer Art Podest. Alle übrigen waren entlang der Wände aufgereiht.
»Was ist das hier?«, flüsterte Giordino, fast als erwarte er jeden Moment, im Dunkeln lauernde Gespenster zu entdecken.
»Wir sind in einem Grabmal«, murmelte Gunn mit bebender Stimme. »Einem uralten Grabmal, der Kleidung nach zu schließen.«
Die Mumien waren erstaunlich gut erhalten. Sie trugen ihre volle schwarze Haarpracht, die Gesichter waren unversehrt, die Gewänder, deren rote, blaue und grüne Färbung noch zu erkennen war, waren in bestem Zustand. Die beiden Mumien an der hinteren Wand saßen auf kunstvoll behauenen, mit allerlei Meeresgetier verzierten steinernen Stühlen. Ihre Garderobe, lange, togaartige Roben, die vom Kragen bis zum Saum mit absonderlichen Mustern aus kleinen Muschelschalen, polierten Obsidianen und Kupferscheiben bestickt waren, wirkten noch feiner gewebt und farbenprächtiger als die der anderen. Herrlich ziselierte, mit Türkisen und schwarzen Opalen besetzte Kupferreifen umspannten ihre Stirn. Hohe Kegelhüte saßen auf ihren Köpfen. Ihre Füße steckten in weiten, halbhohen Stiefeln aus gepunztem Leder.
Die beiden waren offensichtlich hochrangiger und bedeutender als die anderen. Das Skelett zur Linken war größer als das rechte. Die Stirnreifen, respektive Kronen, die sie trugen, waren gleich groß, so als hätten beide über dieselbe Macht verfügt. Zwar hatten sämtliche Mumien zu Lebzeiten langes Haar getragen, doch bei genauem Hinsehen ließen sich die Männer auf Grund der kantigeren Kinnpartie und der kräftigeren Brauen mühelos von den Frauen unterscheiden. Sämtliche Männer saßen in Reih und Glied an der Wand zur Rechten des Paares.
Alle trugen die gleichen Gewänder, aber ihre waren grober gewirkt, weniger reich mit Türkisen und Opalen bestickt. Das galt auch für die Frauen, die zur Linken der beiden prachtvoll geschmückten Mumien saßen.
An der einen Wand lehnte eine Reihe von Speeren mit herrlich polierten Obsidianspitzen. Zu Füßen einer jeder Mumie standen Kupferschalen, Trinkbecher und Löffel. Sowohl das Geschirr als auch die Löffel hatten Löcher, durch die Lederschnüre gefädelt waren, so als hätte man sie für gewöhnlich umgehängt und immer bei sich getragen.
Neben den steinernen Stühlen standen irdene Gefäße, glasiert und von Hand mit feinen geometrischen Mustern verziert, dazu große Kupferschalen voller verwelkter Blätter und Blüten, die man den Toten des Wohlgeruchs wegen mit ins Grab gegeben hatte. Sämtliche Gerätschaften sahen aus, als wären sie von hervorragenden Kunsthandwerkern gefertigt.
Gunn musterte die Mumien aus nächster Nähe. Schon erstaunlich, mit welchem Können die Balsamierer zu Werk gegangen waren, dachte er. Da konnten die alten Ägypter nicht mithalten. »Keinerlei Anzeichen, die auf einen gewaltsamen Tod hindeuten. Sie sehen alle aus, als ob sie im Schlaf gestorben wären. Kaum zu glauben, dass sie sich alle gemeinsam hierher zurückgezogen haben, um in Ruhe zu sterben.«
»Irgendeiner muss noch gelebt und sie auf die Stühle gesetzt haben«, stellte Giordino fest.
»Ganz recht.« Gunn deutete quer durch die Kammer. »Ist dir schon aufgefallen, dass sie alle verschieden sitzen? Die einen haben die Hände im Schoß liegen, andere auf den Armlehnen ihrer Stühle. Der König und die Königin – oder was immer sie auch zu Lebzeiten
Weitere Kostenlose Bücher