Akte Atlantis
gegenüber lagen zudem die Überreste etlicher Robbenfelle und ein Haufen Knochen.
»Der Kleidung nach zu urteilen, handelt es sich wohl um einen Seemann, der auf der Insel ausgesetzt wurde oder gestrandet ist und wer weiß wie lange hier gelebt hat.«
»Komisch, dass der Oberst nichts davon erwähnt hat«, sagte Gunn.
»Die
Madras
musste hier 1779 außerplanmäßig vor Anker gehen, um Wasser zu bunkern, nachdem sie vom Kurs abgekommen war. Den armen Kerl muss es später hierher verschlagen haben. Vermutlich hat in den nächsten fünfzig bis hundert Jahren kein anderes Schiff die Insel angelaufen.«
»Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schrecklich es für ihn gewesen sein muss, mutterseelenallein auf diesem scheußlichen, nasskalten und verregneten Haufen vulkanischem Gestein zu sitzen, ohne die geringste Aussicht auf Rettung und ständig den Tod vor Augen.«
»Er hat ein Feuer geschürt«, sagte Giordino. »Was glaubst du, was für Holz er dafür genommen hat? Auf der Insel wächst doch nichts außer ein paar kümmerlichen Büschen und Gestrüpp.«
»Er muss sämtliches Bauwerk verbrannt haben, das er auftreiben konnte…« Gunn hielt inne, kniete sich hin und tastete in der Asche herum, bis er auf etwas stieß, und hielt es hoch. Es sah aus wie ein Spielzeug – ein Streitwagen mit zwei vom Feuer versengten Pferden. »Die Kunstwerke«, sagte er bedrückt. »Er muss die Kunstwerke verbrannt haben, soweit sie aus Holz bestanden, um sich warm zu halten.« Dann richtete er das Licht auf Giordino und sah das Lächeln, das sich auf dessen Gesicht ausbreitete.
»Was ist daran denn komisch?«
»Ich musste bloß an was denken«, erwiderte Giordino versonnen. »Was meinst du wohl, wie viele von diesen ekelhaften Kohlköpfen der arme Kerl verdrückt hat?«
»Du weißt überhaupt nicht, wie sie schmecken, solange du sie nicht probierst.«
Giordino richtete den Lichtstrahl auf die Wände und entdeckte dort die gleichen Inschriften, die er bereits in der Kammer bei Telluride kurz gesehen hatte. Mitten aus dem Boden ragte ein Piedestal aus schwarzem Obsidian auf. Dort hatte vermutlich der schwarze Schädel gestanden, den der Oberst mitgenommen hatte. Dann fiel das Licht auf einen Haufen Steine und Geröll an der hinteren Wand der Kammer, wo ein Teil der Decke eingestürzt war.
»Was mag wohl auf der anderen Seite von dem Steinhaufen sein?«
»Noch eine Wand?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.« Gunns Tonfall klang eigenartig bestimmt.
Giordino hatte im Lauf der Jahre die Erfahrung gemacht, dass er sich auf Rudi Gunns Scharfsinn und seine mitunter geradezu genialen Eingebungen verlassen konnte. Er schaute ihn an.
»Meinst du, dahinter ist noch ein anderer Gang?«
»Genau.«
»Verdammt!«, stieß Giordino aus. »Unsere Freunde aus Telluride müssen uns zuvorgekommen sein.«
»Wie kommst du denn darauf?«
Giordino ließ den Lichtstrahl über den Geröllhaufen schweifen. »Das ist ihre Handschrift. Die sprengen für ihr Leben gern Stollen.«
»Glaube ich nicht. Dieser Einsturz scheint alt zu sein, sehr alt sogar, wenn ich mir den Staub ansehe, der sich zwischen den Steinen angesammelt hat. Ich wette meine Weihnachtsgratifikation, dass die Decke Jahrhunderte bevor der Oberst und der einsame Seemann den Fuß hierher gesetzt haben, heruntergekommen ist und dass sich keiner von beiden die Mühe gemacht hat, weiter zu graben und nachzuschauen, was sich dahinter verbirgt.« Gunn kroch auf den Geröllhaufen und ließ den Lichtstrahl darüber hinwegschweifen. »Meiner Ansicht nach war hier die Natur am Werk. Die Einsturzstelle ist auch nicht allzu schlimm. Ich glaube, da könnten wir durchkommen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich besonders scharf drauf bin.«
»Halt’s Maul und grabe.«
Gunn hatte Recht, wie sich herausstellte. Die Einbruchstelle war nicht allzu groß. Trotz allen Murrens schuftete Giordino wie ein Pferd. Da er der weitaus Kräftigere war, nahm er sich die schweren Brocken vor, während Gunn das Geröll beiseite räumte. Wild entschlossen wuchtete er einen zentnerschweren Felsblock nach dem anderen hoch, als wären sie aus Styropor. In knapp einer Stunde hatten sie einen Durchgang freigelegt, der so groß war, dass sie beide hindurchkriechen konnten.
Gunn ging voran, da er der Kleinere von beiden war. Er hielt inne und leuchtete nach vorn.
»Was siehst du?«, fragte Giordino.
»Einen kurzen Gang, der nach rund fünf Metern zu einer weiteren Kammer führt.« Dann wand er sich durch die
Weitere Kostenlose Bücher